Drag is not a crime – Wenn Vorlesen zum Politikum wird

Drag ist eine Kunstform, in der Geschlecht (oft überspitzt) zur Schau gestellt wird. Drag Queens etwa präsentieren sich hyper-feminin, Drag Kings hyper-maskulin. So wird deutlich, dass Geschlechtszuschreibungen und Rollenklischees (a lá “pink ist für Mädchen, blau ist für Buben”) eigentlich nichts anderes sind als das – Zuschreibungen und Klischees. Die meisten Drag Künstler:innen schlüpfen für ihre Auftritte in eine eigene Künstler:innenidentiät, komplett mit Künstler:innennamen und (stark) verändertem Aussehen.

Regenbogendekoration, viel Glitzer, ein öffentlicher Park in der Kleinstadt Wadsworth in Ohio, eine Schar begeisterter Kinder, Künstlerin Robin Rue, die aus einem Kinderbuch vorliest und rundherum Absperrungen, Polizei, Hassparolen skandierende Neonazis und Neonazis abschirmende LGBTIQ-Aktivist:innen. Wadsworths erste Drag Queen Story Hour ist eine von vielen Drag Veranstaltungen, die derzeit in den Vereinigten Staaten stark polarisieren und von (mitunter gewaltsamen) Protesten begleitet werden. Drag ist ein heißes Thema, sowohl auf gesellschaftlicher, als auch auf politischer Ebene. Fokussiert auf den Vorwand des “Kinderschutzes”, nützt die rechts-konservative Seite Einschränkungen der Kunstform um queerfeindliche Politik massentauglich zu machen.

Ins Leben gerufen wurde die sogenannte Drag Queen Story Hour erstmals 2015. In Bibliotheken, Museen, Schulen und anderen öffentlichen Orten abgehalten, sind die Lesungen explizit an Kinder gerichtet, mit dem Ziel, sowohl durch die vorgelesenen Kinderbücher, als auch durch das kindgerechte Rahmenprogramm und insbesondere durch die vorlesenden Künstler:innen selbst, Offenheit, Diversität und Inklusion zu veranschaulichen. Spielerisch werden Kindern Konzepte wie Queerness, die Geschichte des Christopher Street Day, oder die Bedeutung der Regenbogenflagge nähergebracht. So weit, so unaufgeregt. Für die Republikaner, das konservative politische Lager der Vereinigten Staaten, könnte es Schlimmeres allerdings nicht geben. Offenheit, Diversität, Inklusion, Akzeptanz – all dies widerspricht dem streng traditionellen, stark christlich geprägten, heteronormativen Weltbild, dem sie sich verschrie(b)en haben. Als Abhilfe müssen nun Gesetze her.

Die Zunahme an konservativen Gesetzgebungen ist nicht neu: Seit Jahren gewinnt die Republikanische Partei an Aufwind und ihre Hetze wird immer salonfähiger. 2017 läutete Trumps Amtsantritt einen stark konservativ geprägten Sinneswandel sowohl auf politischer, als auch auf medialer und gesellschaftlicher Ebene ein. Ein Wandel, dem auch der derzeitige demokratische Präsident Joe Biden nichts entgegenzuhalten vermag, sofern er dies denn überhaupt versucht. In zahlreichen Bundesstaaten werden laufend Gesetzesentwürfe, Gesetzesänderungen oder gar Gesetzesabschaffungen eingebracht, welche die grundlegendsten Menschenrechte von LGBTIQ-Personen Schritt für Schritt untergraben. So etwa in Florida, wo der republikanische Gouverner Ron DeSantis und seine Parteikolleg:innen just einen Monat vor dem Christopher Street Day einen Gesetzesentwurf vorgestellt haben, der, sich hauptsächlich auf Drag Künstler:innen beziehend, effektiv alle Pride Veranstaltungen in dem Bundesstaat verbieten würde.

Trans* Personen wurde bei Geburt ein Geschlecht zugewiesen, das nicht dem ihren entspricht. Entscheiden sich trans* Personen dazu, körperliche, juristische oder soziale Änderungen vorzunehmen, um ihr Geschlecht auszudrücken, wird von Transition gesprochen.

DeSantis ist bei Weitem nicht der einzige konservative Politiker, der seine politische Karriere im Moment auf Queerfeindlichkeit stützt, tatsächlich ist er nicht einmal Vorreiter, was Drag Verbote betrifft. In mehr als 17 Bundesstaaten (also knapp ein Drittel des gesamten Landes) wurden bereits Gesetzesentwürfe eingebracht. Was sie alle gemeinsam haben? Sie schränken die Ausübung von Drag entweder stark ein oder verbieten die Kunstform ganz – immer unter dem Deckmantel des vermeintlichen Kinderschutzes. Und da hätten wir ihn auch schon, den Aufhänger, auf den sich im Moment Politik, Medien und Gesellschaft stürzen, als gäbe es kein Morgen. Da stark in queerer Unterhaltung (sowie Kultur und Geschichte) verhaftet, wird Drag automatisch hypersexualisiert und der eigentliche Inhalt der künstlerischen Darbietung spielt keine Rolle. 

Die Sexualisierung von queeren Personen ist eine altbekannte Strategie und findet auch abseits von Drag statt. Kein Wunder, trichtern uns Medien aller Art doch ständig ein, dass alle, die nicht einer strikten heteronormativen Binarität entsprechen, abnormale Perverslinge sind. Schlimmer noch: Abnormale Perverslinge, die diese heteronormative Binarität bedrohen. Zahlreiche queerfeindliche Aktivist:innen und Politiker:innen in den Vereinigten Staaten haben sich dieser Rhetorik der Hypersexualisierung schon zu schaffen gemacht, allen voran Anita Bryant mir ihrer „Save The Children” Kampagne in 1970er Jahren. 

Frage der Zielgruppe

Verflochten mit der Hypersexualisierung ist die Tatsache, dass Drag Künstler:innen seit jeher ein fester Bestandteil des queeren Nachtlebens sind. So wie viele Kunstformen aber auch, bietet Drag schier endlos scheinende Variation: Vom Nightclub Act über politischen Aktivismus bis zum Vorlesen von Kinderbüchern – gemessen wird hier aber scheinbar mit zweierlei Maßstäben. Denn genauso wie Kinder vielleicht nicht die geeignete Zielgruppe für Yuhua Hamasakis Show sind, so sind sie es nicht für Günter Bruses Aktionen. Und doch gab es in der Neuen Galerie Graz die Ausstellung „Schneckenhaus und Glitzerstein“, um einen Teil seiner Kunst Kindern kindgerecht näherzubringen. Ebenso sind Kinder, nicht Nachtschwärmer:innen, die intendierte Zuhörer:innenschaft, wenn Yuhua Hamasaki aus „Die Kleine Raupe Nimmersatt” vorliest  –  doch während das eine zelebriert wird, wird das andere verteufelt. 

Grund des Zwists: Während den Drag Story Hour Events wird Queerness nicht nur Raum gegeben, sondern sie wird noch dazu normalisiert. Kindern beizubringen, dass es geschlechtliche und sexuelle Vielfalt gibt, ist ein direkter, als sexualisiert wahrgenommener, Angriff auf das heteronormative Weltbild, welchem Konservative so gerne frönen. Doch sensibilisierte sexualisierte Aufklärung ist nicht nur nicht mit Frühsexualisierung gleichzusetzen, sie hilft sogar, diese vorzubeugen. Über Sex, Sexualität und Geschlechtervielfalt zu lernen hilft Kindern und Jugendlichen dabei sexuelle Gewalt als solche zu erkennen und Grenzen zu setzen.

Leider ist die Argumentationslinie der Konservativen so perfide, wie sie simpel ist: Kinder vor Drag zu schützen, heißt Kinder vor Queerness zu schützen, heißt Kinder vor Frühsexualisierung zu schützen. Und das öffnet queerfeindlichen Gesetzgebungen Tür und Tor. Besonders darunter leiden trans* Personen, die überproportional von den Gesetzesänderungen betroffen sind. Kein Wunder, denn Drag als Parodie einer binären Geschlechterordnung funktioniert wunderbar als trojanisches Pferd, um alle Formen von Nicht-Konformität mit eben jener zu bestrafen. Die unter dem Vorwand von Kinderschutz vorgebrachten Gesetze werden nun zur Legitimation von Transfeindlichkeit auf rechtlicher Ebene. Diese Art der Argumentation hat sich mittlerweile bereits bis nach Europa verschlagen.  Auch in Österreich finden sich Drag Künstler:innen und queere Personen immer mehr (politischen) Angriffen ausgesetzt.

Der von dem deutschen Sexualwissenschaftler Magnus Hirschfeld Anfang des 20. Jahrhunderts geprägte Begriff Transvestitismus, wurde von ihm primär dazu verwendet, um damit die alltägliche Praxis des Tragens von „nicht dem Geschlecht der Personz ugeordneter Kleidung“  zu bezeichnen. Später wurde der Begriff erweitert und faktisch mit Crossdressing gleichgesetzt: Der Praxis des Tragens von nicht dem Geschlecht zugeordneter Kleidung von Personen, die weder trans* sind, noch dies zur Ausübung eines sexuellen Fetischs tun.

Titelfoto: Pink Lake Boot ©Gutmann