HIV: Mehr als ein Status

Die Aids Hilfe Wien vereint seit über 20 Jahren Expertisen zu HIV, AIDS und anderen sexuell übertragbaren Krankheiten sowie entsprechende Testmöglichkeiten unter einem Dach und bietet zudem psychologische Beratung an. Wir haben mit der Geschäftsführerin Andrea Brunner über sexuelle Gesundheit und die aktuelle Lage in Österreich gesprochen.

HIV hatte einen enormen Einfluss in der Geschichte der queeren Community. Welche Bedeutung hat das Virus für uns heute?

Heutzutage hat HIV glücklicherweise eine geringere Bedeutung für die Community. Die meisten Infizierten stammen zwar immer noch aus der Gruppe der Männer, die Sex mit Männern haben, allerdings sind in jener Gruppe auch die Awareness und Testmoral am höchsten. Durch konsequente Arbeit in der queeren Community konnten Bewusstsein und Aufklärung über das Thema gefördert werden, wodurch die Zahl der Neudiagnosen sank.

Warum gibt es immer noch Stigmatisierung und Vorurteile gegenüber HIV-infizierten Personen?

Viele wissen nach wie vor nicht was es bedeutet HIV-positiv zu sein, wodurch Stigma und Diskriminierung nach wie vor existieren. Durch die heutigen medizinischen Möglichkeiten kann der HI-Virus bei infizierten Personen unter der Nachweisgrenze gehalten und nicht mehr weitergegeben werden. Mittlerweile kann man es als chronische Infektion betrachten, denn man kann mit den therapeutischen Mitteln trotz positiver Diagnose ein gutes und langes Leben führen. Projekte wie Positiv Arbeiten der Aids Hilfen mit mittlerweile 95 teilnehmenden Unternehmen in Österreich stellen sich klar gegen Vorurteile.

Wie ist die aktuelle Entwicklung in Österreich? 

Im Jahr 2020 gab es weniger HIV-positive Neudiagnosen als in den Jahren zuvor – das lag vermutlich primär an der geringeren Anzahl an Tests und der verminderten Kontakte der Menschen während der Covid-19 Pandemie. In den Jahren zuvor hatten wir rund 400 Neuinfektionen pro Jahr – mal mehr, mal weniger.

Es wird geschätzt, dass knapp 10% der HIV-infizierten Personen in Österreich nicht über ihre Infektion Bescheid wissen, da sie noch nicht getestet wurden. Wie kann man dem entgegenwirken?

Diese Frage beschäftigt uns natürlich sehr. Eine Antwort darauf ist die Kooperation mit den Sozialversicherungsträgern um den Menschen zu zeigen, wie einfach ein Test eigentlich ist. Hier gilt es in Bereiche vorzudringen, in denen die Leute nicht so gut darüber informiert sind – meist sind dies Personen abseits der Metropolen und städtischen Zentren. Daher haben wir etwa. die Kampagne #einfachtesten gestartet, um Patient*innen in den Praxen der Allgemeinmediziner*innen Testmöglichkeiten zu bieten. Wir wollen so das Thema breiter streuen, den Menschen die Angst vor einem Test nehmen und die Zugänglichkeit so niederschwellig wie möglich gestalten.

Mit den heute etablierten Therapien kann das Virus bei frühzeitiger Behandlung unter der Nachweisgrenze gehalten und somit nicht auf andere übertragen werden. Welche Rolle spielt das für zukünftige HIV-Diagnosen? 

In erster Linie fällt damit das Argument der Angst weg, denn die Leute trauen sich damit eher einen Test zu machen. Unter medikamentöser Behandlung ist eine Infektion kein Todesurteil, sondern im Grunde eine chronische Infektion. Dies ist beispielsweise für HIV-positive Frauen wichtig, da es Sex ohne Kondom ermöglicht und im Hinblick auf mögliche Schwangerschaften kein Problem für Mutter und Kind darstellt.

Ist die Präexpositionsprophylaxe (PrEP) für alle sinnvoll? 

Viele wissen heute leider noch nicht, dass es die PrEP gibt. Die PrEP ist de facto ein Verhütungsmittel, das nicht-infizierte Personen vor einer HIV-Infektion schützt. Dennoch ersetzt sie kein Kondom, da es zwar gegen HIV, aber nicht gegen andere sexuell übertragbare Krankheiten schützt. Auch die hohen Kosten stellen ein Problem dar. Hier gilt es, durch Lobbying eine bessere Zugänglichkeit zu schaffen – denn prinzipiell ist die PrEP eine sehr gute Sache.

Wie kann man den bewussten Umgang mit der sexuellen Gesundheit auch gesellschaftlich vermehrt in den Fokus rücken?

Informieren! Es ist wichtig, dass vor allem junge Menschen darüber Bescheid wissen. Daher versuchen wir auch, über verschiedenste Kanäle zu informieren – ob Workshops in Schulen, außerschulische Jugendarbeiten oder auch über soziale Medien wie TikTok. Sexuelle Gesundheit sollte als Teil der klassischen Gesundenuntersuchung gesehen wehen.

Worin gibt es heute noch in Bezug auf sexuell übertragbare Infektionen (STIs) den größten Handlungsbedarf?

Oberste Priorität haben die Bewusstseinsschaffung und die Aufklärung über die Prävention von STIs, und zwar in allen Menschengruppen. Zudem gilt es in Hinblick auf Verhütungsmittel wie PrEP und Kondome die Kosten zu senken und die Zugänglichkeit einfacher zu gestalten.

Informationen über HIV, STIs, Testmöglichkeiten und die PrEP gibt es unter: www.aids.at

Titelbild: Andrea Brunner | © Tatjana Gabrielli