Feiert eure Vulven! 

Bitte aufzeigen, wer schon einmal mit einem Spiegel zwischen den Beinen die eigene Vulva erkundet hat. Wie viele Hände würden bei dieser Aufforderung nach oben gehen? Im engen Freundeskreis vielleicht ein paar, oder ein paar mehr als am Kaffeetisch beim Familiengeburtstag? Zuzugeben, dass man seine eigene Vulva genauer oder noch nie angeschaut hat, ist jedenfalls oft noch ein Tabuthema, genauso wie über Vulven überhaupt zu sprechen.

Die Wut als Antrieb

Viktoria Krug spricht nicht nur über Vulven, sie stellt auch Gipsstatuen davon her. Ihr Antrieb ist unter anderem auch die Wut. Wut darüber, dass man als Person mit Vulva immer noch oft nicht ernstgenommen wird, wenn man mit gesundheitlichen Problemen medizinische Hilfe beanspruchen muss. Und auch Wut darüber, dass das Thema tabu ist, außer die Vulva wird sexualisiert dargestellt, wie etwas in Pornos. Sie möchte das Tabu brechen, damit es in Zukunft keine unangenehme Stille mehr gibt, wenn es um Vulven geht, sondern einfach normale Gespräche. 

Von Scham und Unwissenheit

Vor vier Jahren hat Krug zum ersten Mal eine Statue einer Vulva gesehen und überrascht festgestellt: Die sieht anders aus als die eigene. „Ich habe einfach keine Ahnung gehabt, und das habe ich so schockierend gefunden“, meint sie. Sie hatte nur Sex mit Menschen mit Penis, und bis dorthin keine andere Vulva als die eigene gesehen. Nachdem sie ihrem Freund davon erzählte, schlug dieser vor, sich doch gegenseitig einmal genauer anzuschauen. Schnell haben die beiden festgestellt, wie schambesetzt und tabuisiert das Thema ist, so Krug. Aus Spaß haben die beiden dann eine Statue angefertigt. „Das hat mich von den Socken gehauen“, meint Krug, und sie habe gemerkt, dass bewegt etwas in ihr – es entwickelte sich ein neuer Bezug zur eigenen Vulva. So entstand die Idee für ihr Projekt „Vulvarium“, wo sie in Workshops in ganz Europa Gipsstatuen von Vulven herstellt.

Wie in der Dentalpraxis – nur ganz anders

Wer schon einmal einen Abdruck der Zähne gemacht hat, kennt Alginat, die Masse die detailgenau die Beißerchen abbildet. Damit arbeitet auch Krug bei der Herstellung des Vulva-Abdrucks. Der Unterschied: garantiert kein Würgereiz, viel Zeit und eine angenehme Atmosphäre. Wenn die Teilnehmenden zu ihr kommen, werden sie wie „bei guten Freund:innen“ empfangen. Es wird Tee gereicht und man unterhält sich. Krug fragt nach den Beweggründen ein „Vulva Casting“ zu machen, man schaut sich gemeinsam ein Fotobuch und andere Statuen an, entscheidet sich für eine Farbe und kann sich dann vor Beginn noch einmal im Badezimmer frisch machen. Das „Casting“, also das Auftragen und Formen der Masse, dauert dann nur ca. 15 Minuten. Die Personen können mit einem Spiegel alles mit ansehen, und auch selbst Hand anlegen, wenn sie etwa die Position der Labien verändern wollen. Danach heißt es warten. Krug gießt die Gipsskulptur und lässt sie trocknen. Danach wird sie geschliffen, zugeschnitten und lackiert – „mit viel Liebe und Handarbeit entsteht die Statue“, so Krug. 

Begegnungen bereichern

Das Schönste an ihrer Arbeit sind für Krug die Begegnungen mit so vielen großartigen Menschen. Sie hat bisher über 1500 Statuen hergestellt, und sie hat mit jeder Person im Gespräch Gemeinsamkeiten gefunden. Im Austausch darüber, wieso die Person ein „Vulva Casting“ macht, hat sie viele Geschichten gehört, die sie berühren. „Es gibt so viele Beweggründe, wie es Menschen gibt“, sagt Krug. Manche wollen ihre Vulva einfach feiern, andere haben bisher nur negative Erfahrungen gehabt, wieder andere wollen ihre Vulva in der Schwangerschaft noch vor der Geburt abbilden, oder Menschen, die beginnen Testosteron zu nehmen, wollen die Vulva vor oder während der Transition als Statue festhalten. Krug hat viel Hoffnung, weil sie sieht, viele haben Lust das Potenzial zu entfalten, das in der Vulva und in den damit verbundenen Themen schlummert. Sie hofft darauf, dass sich Menschen nicht mehr für ihre Körper schämen und diese verstecken, sondern „dass wir sie feiern können und die Diversität zelebrieren“. 

Fotos: © Claudia Plattner, Träumerherz Fotografie