Es darf kein Pro und Kontra geben, wenn es um Menschenleben geht!


Der diesjährige Tuntenball-Award geht an Steffi Stankovic, die sich seit 10 Jahren aktivistisch für die Trans-Community engagiert. Mit mir spricht sie über gesellschaftliche Radikalisierung und die Rolle, die Medien dabei spielen, sowie die Grenzen aktivistischer Handlungsmacht.

Der Tuntenball-Award geht jedes Jahr an Personen, die herausragendes Engagement für LGBTQI+-Community gezeigt haben – 2024 geht er an dich. Wie fühlt sich das an?

Das ist der erste Award, den ich je bekommen habe! Es fühlt sich super schön und empowering an, dass meine aktivistische Arbeit so anerkannt wird. Ich sehe das aber so, dass ich den Award nicht nur für mich alleine bekommen habe, sondern auch für viele andere trans Menschen, insbesondere trans Frauen, die mich dazu inspiriert haben, Aktivismus zu machen.

Das Thema des Tuntenballs lautet 2024 „Halos x Horns“ und spielt auf das altbekannte „Gut gegen Böse“ an, das man vor allem im Vergleich „Himmel oder Hölle“ beziehungsweise „Engel oder Teufel“ kennt. Auf welcher Seite würdest du dich denn verorten?

Ich kann mich mit beiden Seiten sehr gut identifizieren! Ich kombiniere diese beiden Gegensätze in mir auch sehr gerne. Ich war zum Beispiel in der Zeit rund um Halloween letztes Jahr ständig als Luzifer verkleidet und habe so performt, sehe mich aber auch als unschuldig und rein. Es kommt wohl auf den Tag an, wie ich mich einstufe.

In Wahrheit lassen sich Menschen ja nicht in binäre Systeme wie Gut und Böse aufteilen. Anstatt diese Vielfalt zu feiern, scheint sich die Gesellschaft aber – unter anderem bei queeren Themen – oft in zwei extreme Lager zu spalten. Wie erlebst du das in deiner aktivistischen Arbeit?

Ich setze mich schon sehr lange mit dem Thema Radikalisierung auseinander. Ich muss sagen, ich bin mir nicht sicher, ob unsere Gesellschaft sich so sehr gespalten hat und die Menschen radikaler geworden sind. Das ist vielleicht einfach nur sichtbarer geworden durch Soziale Netzwerke und weil wir gelernt haben, dass wir uns zu allem öffentlich äußern können und dürfen. Früher wurden gesellschaftspolitische Themen bei den meisten Menschen eher im kleinen, privaten Rahmen besprochen und nicht vor einer großen Öffentlichkeit, wie das heute ist. Was mich sehr stört, ist, dass viele Medien mit Pro- und Kontra-Formaten arbeiten, wo zwei Personen mit absolut konträren Meinungen über ein Thema sprechen oder schreiben. Damit wird suggeriert, dass es OK ist, wenn sich jede:r für eine dieser zwei Seiten entscheidet. Und das ist falsch, vor allem, wenn es um Menschenleben geht und im Falle von trans Menschen um eine Community, die seit tausenden Jahren existiert, die aber nie zu ihren Rechten kam.

Glaubst du, man kann Menschen mit konträren Meinungen irgendwie wieder näher zusammenführen?

Ich glaube, was wir begreifen müssen, ist, dass einige Personen in ihren Meinungen einfach zu festgefahren sind. Ich habe das selbst oft genug erlebt. Auch wenn ich mich als trans Frau vor diese Leute stelle und ihnen erzähle, was für schreckliche Dinge ich erlebt habe, bewegt es sie nicht mehr. Von solchen Menschen muss man sich fernhalten, da gibt es nichts mehr zu erreichen, denn sie möchten sich nicht für andere Meinungen öffnen. Die Verantwortung, eine solche Festfahrung zu verhindern oder aufzulösen, liegt auch nicht bei Aktivist:innen, sondern vielmehr bei Sozialen Netzwerken und Nachrichtenmedien. In Wahrheit hat unser System ziemlich stark versagt, wenn man mit manchen Personen einfach nicht mehr reden kann.

Was kann getan werden, damit das gar nicht erst passiert?

Wir brauchen mehr Aufklärung, vor allem im jungen Alter. Und wir müssen aufhören, ständig willkürlichen Personen eine Plattform zu geben, wenn sie über Dinge sprechen, mit denen sie sich nicht auskennen. Wir sollten Expert:innen und Wissenschafter:innen vor den Vorhang holen, anstatt irgendjemanden mit einem Master in Betriebswirtschaft über Gender sprechen zu lassen, nur weil er:sie eine Meinung dazu hat.


Du hast bereits in Fernsehsendungen mit rechts-konservativen Politiker:innen diskutiert. Hattest du da das Gefühl, dass du sie noch erreichen konntest?

Nein. Es waren genau solche Gespräche, die mich realisieren ließen, dass es bei manchen Leuten einfach keinen Sinn mehr macht. Jede:r möchte irgendwo dazu gehören, für manche Menschen sind das politische Bewegungen und Parteien. Um das Gefühl der Zugehörigkeit zu bewahren, nehmen sie in Kauf, dass sie manchen Menschen das Recht auf ihre eigene Existenz absprechen. Es geht dabei nur um sie selbst. Das musste ich auf schmerzhafte Weise erfahren. Ich wurde schon ziemlich oft in Diskussionsrunden und ähnliche Formate geladen.

Wie bist du damit umgegangen?

Ich habe den Medienvertreter:innen gesagt, dass ich mich unwohl gefühlt habe, wenn ich beleidigt oder schlecht dargestellt wurde, und dass ich zumindest Teile von Sendungen nicht ausgestrahlt haben möchte. Aber das war immer egal, es ist immer genau so erschienen. Als ich in einer dieser Diskussionsrunden einmal die Rollen vertauscht habe und selbst diejenige war, die andere beleidigt und angegriffen hat, ist die gesamte Sendung nicht ausgestrahlt worden. Das war ein soziales Experiment für mich, das mich in meinen Annahmen bestätigt hat, das habe ich auch mit meinen Follower:innen auf Instagram geteilt. Mittlerweile weiß ich, wie das System funktioniert, in dem ich lebe. Man lernt irgendwann auch damit umzugehen.

In vielen deiner Interviews erzählst du von schrecklichen Erfahrungen, die du durchmachen musstest, sowohl als Kind in Serbien als auch noch heute. Was hilft dir dabei, trotz alledem noch so offen in die Welt hinauszutreten?

Ich hatte wirklich schlimme Phasen im Leben, vor allem vor und am Anfang meiner Transition. Irgendwann kam dann der Punkt, an dem ich einfach nur noch wütend war. Ich war damals 21 Jahre alt und wollte einfach nur ein stinknormales Leben führen können! Ich habe nach Wegen gesucht und war deswegen in Therapie. Mein Therapeut sagte damals zu mir, ich könnte entweder eine Geschlechtsangleichung durchführen lassen, nicht mehr darüber reden und irgendwann wäre es allen egal. Die zweite Möglichkeit sei, dass ich in die Öffentlichkeit trete und mich aktivistisch betätige, er meinte damals, das könnte aber auch schief gehen, weil man die Welt nicht alleine verändern kann. Mir war schnell klar, dass das der einzige Weg für mich ist, zu leben. Und warum sollte ich mich auch verstecken und so tun, als wäre ich eine cis hetero Frau? Ich wollte und will mich nicht an cis Heteros anpassen, die der restlichen Welt ihre Sexualität und Geschlechtsidentität schließlich ständig ins Gesicht schmieren. Ich möchte anderen in meiner Situation mit meiner Sichtbarkeit helfen. Das ist der Grund für meine Offenheit.

Auf Instagram veröffentlichst du auch Beiträge zu psychischer Gesundheit und etwa einer gesunden Einstellung zum eigenen Aussehen. Wie geht es dir als Influencerin und Model heute mit der Thematik? 

Am Anfang meiner Transition habe ich alles Mögliche getan, um so weiblich wie möglich auszusehen. Lip Filler, Extensions, Botox, lange Nägel, viel Make Up. Irgendwann habe ich mich dann gefragt: “Hey, wann hast du denn genug?” Ich denke, dass es vielen FLINTA-Personen so geht, denn uns wird ja eingebläut, dass wir schön sein müssen. Da baut sich dann dieser innere Drang auf, immer noch attraktiver zu werden. Ich musste mir darüber klar werden, wie viel ich im Leben erreicht habe, beruflich und persönlich, und dass das meiste gar nichts mit meinem Aussehen zu tun hat. Vielmehr ist es, weil ich mich schon mit so vielen Dingen auseinandergesetzt habe, weil ich reflektiere. Weil ich halt bin, wer ich bin. Ich habe große Angst davor, dass wir uns alle irgendwie selbst verlieren. Deswegen versuche ich auf Instagram und Co. auch möglichst ehrlich zu sein, verwende keine Filter und bearbeite auch keine Fotos mehr. Ich versuche, so unverfälscht wie möglich aufzutreten!

Unser Gespräch war vor allem gefüllt mit ernsten Themen. Also möchte ich dir zum Abschluss mal eine schönere Frage stellen: Was gibt dir auch bei widrigen Umständen Hoffnung? What keeps you going?

Dass ich weiß, dass ich mittlerweile ein recht schönes Leben habe! Ich bin von tollen Menschen umgeben, die ich liebe und die mich lieben. Ich erlebe wunderschöne Sachen, auch im beruflichen Kontext. Ich denke, was sehr vielen queeren Personen Kraft gibt, weiter zu kämpfen, ist, dass wir irgendwie so lange jung bleiben. Ich habe das Gefühl, wir lassen uns tendenziell später auf Partner:innen ein, haben auch später Kinder, wenn überhaupt. Das gibt uns Zeit, uns auf unsere eigenen Bedürfnisse zu fokussieren und möglichst unbeschwert zu leben. Und diese Unbeschwertheit und Leichtigkeit, das ist es für mich oft. That keeps me going.

Fotos von Hanna Fasching