Binder, Packer & Co

Die meisten Menschen schließen aufgrund des Aussehens einer Person auf ein Geschlecht. Es wird zum Beispiel angenommen, dass jemand mit Brüsten eine Frau ist oder jemand mit Bart und sichtbarer Beule im Schritt ein Mann. Für sehr viele Leute ist das kein Problem, weil sie sich mit dem Geschlecht identifizieren, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde. Für sie spielt es somit keine Rolle, wenn sie wegen ihrer Frisur, Kleidung oder sekundärer Geschlechtsmerkmale als Frau oder Herr angesprochen werden. Tatsächlich aber ist es unmöglich, mithilfe von Äußerlichkeiten auf das Geschlecht einer Person zu schließen.

Trans* oder nichtbinäre Menschen, also Personen, die sich nicht mit dem Geschlecht identifizieren, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde, fühlen sich mit diesen Zuschreibungen und in weiterer Folge auch in ihrem Körper oft nicht wohl. Man spricht hier auch von Body Dysphoria oder Körperdysphorie – das bezeichnet den Leidensdruck, der durch die Nichtübereinstimmung von körperlichen Merkmalen und Geschlechtsbewusstsein ausgelöst wird. 

Viele trans* Menschen ergreifen deshalb körperangleichende Maßnahmen. Zum Beispiel unterziehen sich manche transmaskuline Personen einer Mastektomie (die Entfernung der Brüste). Andere wiederum wollen dies nicht und/oder brauchen etwas, um sich das Leben vor der Operation zu erleichtern. Dafür gibt es sogenannte Binder, ein sehr straff sitzendes Unterhemd, welches die Brüste flach drückt und so ermöglichen kann, männlich gelesen zu werden. Dies kann für mehr Selbstbewusstsein und Sicherheit sorgen und die Dysphorie eingrenzen, wie Psychologin Angela Teyrowski erklärt: „Bevor chirurgische geschlechtsangleichende Maßnahmen erfolgen, können Personen mit Geschlechtsdysphorie ihr Äußeres mittels Binder oder Packer dem Wunschgeschlecht annähern und so in einem ersten Schritt eine Reduktion ihrer Belastung erfahren, weil sie auch von Außen als diejenige Person wahrgenommen werden, als die sie sich fühlen. Dies ist aus psychotherapeutischer Sicht auch dahingehend wertvoll, als dadurch ein Zeitraum geschaffen werden kann, ‚anders‘ als sonst zu leben und gesehen zu werden. Diese soziale Komponente des geschlechtlichen Seins spielt in der Transition keine unbedeutende Rolle.“

Um die auch oft gewünschte ausgebeulte Optik der Hose zu erzeugen, werden sogenannte Packer verwendet. Dafür gibt es einfache Hilfsmittel, wie zusammengerollte Socken in der Unterhose zu tragen oder zugeschnittenen Schaumstoff in die Boxershorts zu nähen, aber auch kreative Lösungen wie gehäkelte oder genähte Penisse. Wer es realistischer haben will, wählt Penis-Nachbildungen aus Kunststoff oder Silikon, um diese zu tragen, wird zumeist spezielle Packing Unterwäsche oder ein Harness benötigt. Ein Harness ist ein Gurt, oft aus Gummi oder Stoff, der dazu dient, den Packer während der Verwendung in Position zu halten.

Mittlerweile gibt es unzählige Variationen, sowohl was Packer, also auch Harnesse anbelangt – von rein optischen Hilfsmitteln über sogenannte „STPs“ (Stand to Pee Packer, die das Urinieren im Stehen ermöglichen) über „Pack and Play“ Applikationen, die für den täglichen Gebrauch sowie für Sex verwendet werden können, ist alles dabei.

Da kann es schon schwierig werden, sich für das richtige Produkt zu entscheiden, zumal diese großteils nur über das Internet erhältlich sind und oft außerhalb Europas hergestellt werden – zurückschicken, falls Binder oder Harness nicht passen, ist daher oft keine Option. 

Ein Grazer Kollektiv hat aus diesem Grund beschlossen, selbst aktiv zu werden. Frederick Weissengruber, Ino Müller und Sasha Koitz entwickeln Binder und Harnesse unter dem Namen Umbrella Wear. „Was unsere Produkte besonders macht ist, dass wir selbst trans* sind und jahrelange Erfahrung mit Bindern und Harnessen haben. Wir wissen, was einen Binder gut oder schlecht macht, was wir uns wünschen oder nicht wollen und aus diesem Wissen heraus haben wir die verschiedenen Modelle entwickelt“, erklärt Frederick, der Schneider des Trios. Getüftelt und genäht wird in der steirischen Landeshauptstadt, zum ersten Mal begutachten kann mensch die Produkte von Umbrella Wear am 1. Juli 2023 beim CSD Parkfest in Graz. Unter www.umbrella-wear.com kann ab Juli auch online bestellt werden.

Fotos: © Julia Schuster