Direkt und einfühlsam, so begegnet mir die Rapperin Gazal im Gespräch. Ihre Stimme ist ruhig und zugleich stark. Jedes Wort sitzt und wirkt dabei nicht einstudiert, sondern authentisch. Wir sitzen mit hausgemachten Limonaden in einem Lokal am Donaukanal, starten unmittelbar nach unserer ersten persönlichen Begegnung ins Interview. Es bedarf keiner lange Aufwärmphase, denn wir kommen sofort ins Gespräch.
Geboren wurde Gazal 1989 in Teheran. Aufgewachsen ist die Rapperin in Oberösterreich, 2016 zog sie nach Wien. Sie ist als stellvertretende Vorsitzende und Frauensprecherin der SoHo Wien politisch aktiv. Seit 2019 ist Gazal mit Carina Köpf verheiratet.
Du bist eine queer-feministische Rapperin mit Migrationshintergrund. Wie willst du wahrgenommen werden?
Zuallererst mal als Mensch. Wenn wir uns alle in erster Linie als Menschen begegnen und die unterschiedlichen Geschichten, die wir mitbringen beiseite legen würden, wäre ein menschliches und ein solidarisches Miteinander frei von Stigmata, Disrkiminierung und Vorurteilen möglich.
Hast du Erfahrung mit Diskriminierung gemacht?
Ja, viele Facetten davon. Meine Eltern haben Fluchterfahrung, wir sind nach Österreich gekommen als ich im Säuglingsalter war. Meine ersten Schritte habe ich im Flüchtlingsheim gemacht. Und meine ersten Erinnerungen sind, dass ich aus einer sozial-benachteiligten Familie komme, man würde auch sagen arm. Und das hat sich durch mein Leben gezogen, bis ins Teenageralter. Dann kommen noch andere Dinge hinzu, wie, dass ich eine Frau bin und als solche gelesen werde. Von Typen werde ich oft auch dementsprechend behandelt. Und natürlich auch rassistische Erfahrungen. Als Kleinkind wurde ich im Sandkasten beschuldigt, den Bagger des Nachbarjungen gestohlen zu haben, weil ich Ausländerin bin. Somit wusste ich als Kleinkind Ausländerin zu sein ist nichts positives. Erlebnisse wie diese hinterlassen Narben und die vergisst man nicht. Solche Erfahrungen macht man immer wieder im Leben und die sind prägend.
Du hast in kurzer Zeit eine große Fanbase aufgebaut und bist auch politisch in der SoHo aktiv. Welche Mission liegt dir am Herzen?
Ich bin keine Missionarin, aber der Rap bietet mir natürlich eine Bühne, um gewisse Themen anzusprechen, die mir wichtig sind. Wie schon gesagt, das wichtigste für mich ist das menschliche Miteinander, ein Leben in Freiheit und Sicherheit für alle sowie eine Gesellschaft, in der sich alle entfalten können. Gesellschaftliche Schieflagen anzusprechen und den Finger dorthin zu drücken, wo es auch weh tut, ist mir auch wichtig. All die Dinge, die ich auch selbst erfahren habe und an denen ich gewachsen bin, waren ein irrsinniger Prozess und Kampf, die Spuren hinterlassen haben. Und wenn ich es schaffe den Kampf für jemanden zu führen, der diesen nicht mehr führen muss, ist sehr viel gewonnen damit. Mir ist sehr wichtig, dass ich nicht mit erhobenen Zeigefinger dastehe, sondern mit erhobener Faust selbstbewusst Dinge einfordere für mich, für meine Community und alle Menschen, die sich mit mir solidarisieren. Und mit meiner Musik geht es mir auch darum politische Inhalte zu transportieren, die zugleich das Tanzbein schwingen lässt.
Das Tanzbein lässt sich mit deinem letzten Track “Oyna” ja sehr gut schwingen.
Ja, und ich hab mich bewusst für türkisch entschieden, da diese Sprache oft stigmatisiert wird. Außerdem habe ich auch diesen Background und den feiere ich: Weil je mehr Wurzeln man auf der Welt hat – und ich habe sehr viele – umso standhafter steht man.
Wie ist die Resonanz auf “Oyna”?
Durchwegs positiv, dadurch habe ich auch Leute erreicht, die nicht nur in dieser queeren Buble sind, sondern auch diejenigen, die nur Party machen wollen. Man kann Party machen, ohne das man sich misogyne, sexistische oder chauvinistische Songs anhören muss. Musik ist für alle da, die das Leben in all seiner Vielfalt feiern wollen.
Auf Instagram gibt ein Foto mit dir und deiner Ehefrau, zu dem du schreibst: For some it’s just holding hand, for some it’s just a little kiss and for us it’s a political act everyday. Siehst du dich als Role Model für die LGBTIQ-Community?
Ich weiß nicht, ob man das von sich selbst so sagt. Als ich jedoch klein war, gab es wenige Role Models. Es hätte mir aber bestimmt geholfen in meiner Jugend Personen zu sehen, die offen queer leben. Damit man weiß: Du brauchst keine Angst zu haben. Du bist nicht alleine, es gibt viele von uns und ein schönes Leben in einer heteronormativen Gesellschaft ist auch möglich, wenn man queer. Und das ist auch der Beitrag, den ich mit meiner Sichtbarkeit leiste. Weil es nichts ist, das man verstecken sollte. Heteros verstecken sich auch nicht für ihre sexuelle Orientierung. Deshalb will ich mit einer gleichen Selbstverständlichkeit leben, wie es andere auch tun. Nur, dass es gesellschaftlich noch immer stigmatisiert ist. Jedes Mal, wenn ich die Hand meiner Frau halte oder ihr einen Kuss in der Öffentlichkeit gebe, ist es eine bewusste Handlung. Wenn wir schaffen würden, dass queere Personen genauso die Norm sind, dann haben’s wir eigentlich geschafft.
Wie war dein Outing?
Mein Prozess war ein bisschen anders, als es vielleicht bei den meisten so ist. Im Kindergarten wusste ich schon, dass ich auf Mädchen stehe. Und das war für mich komplett normal. Ich dachte, dass alle Mädchen auf Mädchen stehen. Erst als ich in den Medien gesehen habe, dass nur Männer und Frauen als Paar gezeigt werden, habe ich gemerkt es ist nicht so. Für mich war es trotzdem normal und mit dieser Selbstverständlichkeit, habe ich das auch immer so gelebt. Daher gab es für mich auch nie den Punkt, wo ich gesagt habe, ich bin Gazal und lesbisch, sondern es war immer ein Teil meiner Identität. Es gibt ja nicht das eine große Coming-Out, man hat sein ganzes Leben lang ein Coming-Out. Wenn ich darüber rede, dass ich verheiratet bin, werde ich auch gefragt, wie denn mein Mann heiße. Ich versuche, es dann immer etwas auszureizen bis sie selber drauf kommen. Manchmal passierts, manchmal nicht. Die Reaktion ist dann: Oh, ja, das gibts doch auch.
Du setzt dich ja auch für eine offene und tolerante Gesellschaft ein. Was sind deiner Meinung nach die nächsten Schritte, die passieren müssen, damit der aktuelle Ist-Stand besser wird?
Das hat viel mit Empathie auf der zwischenmenschlichen Ebene zu tun. Wie gehe ich auf Menschen privat zu? Was wird auch auf einer institutionellen Ebene, also auf einer politischen Ebene getan, wo diejenigen sind die mit Gesetzen etwas bewirken können? Doch solange dort rassistische Sprache verwendet und gewisse Vorurteile reproduziert werden, ist es noch ein langer Weg bis ein gesellschaftlicher Wandel stattfindet. In manchen Dingen ist die Gesellschaft jedoch schon weiter, als es die Politik ist. Ein gutes Beispiel ist die Ehe-Gleichstellung. Da war eine große Mehrheit für die Öffnung, obwohl konservative oder rechte Parteien noch dagegen waren. Erst durch das VfGH-Urteil wurde die Ehe geöffnet. In den vergangenen Jahren, war es eher so, dass die Gesellschaft der Politik sagt, wie es sein sollte.
Wie wichtig ist dir Empowerment?
Ich will, dass Frauen und Mädchen mit dem gleichen Selbstbewusstsein aufwachsen wie es Jungs tun. Ich hab mal ein Jahr lang in einem Hort als Pädagogin gearbeitet und gesehen, dass Jungs mit einer ganz anderen Selbstverständlichkeit erzogen werden. Denen sagt man, du bist so stark und so klug. Während es bei Mädchen die äußeren Attribute, wie du bist so schön und so lieb sind. Das führt natürlich zu einer unterschiedlichen Selbstwahrnehmung. Dass diese Rollenkorsetts, die wir haben, uns so eng einschnüren und uns allen die Luft zum Atmen nehmen, möchte ich gerne aufbrechen. Nämlich für Männer und Frauen gleichermaßen.
Was hören wir als nächstes von dir?
Im Herbst kommt mein Album mit zehn Songs raus. Ein Track davon ist gemeinsam mit der deutschen Rapperin Sookee. Mit ihr arbeite ich auch gerade an einem Buch mit dem Titel “Awesome HipHop Humans” das ebenfalls im Herbst rauskommt. Da werden queer-feministisches Rapperinnen, Breakerinnen, Sprayerinnen und Bookerinnen abseits des Mainstreams gezeigt. Wir zeigen damit auf, dass es nichts Außergewöhnliches ist, als queere Person oder als Frau im HipHop aktiv zu sein. Denn es gibt ganz viele von uns, man müsste ihnen nur eine Bühne bieten. Und das Buch ist eine der Bühnen, die wir ihnen bieten. Wenn es dann heißt, es gab keine Frau oder queere Person, die wir für dieses Festival einladen konnten, dann können wir das Buch hinhauen und sagen: Doch, schlag mal nach!
Titelbild: Rapperin Gazal | © Krassimir Kolev
als Grenzgängerin zwischen digital und analog, gilt ihre Leidenschaft seit vielen Jahren der Content Creation. Am liebsten kreiert Ruperta Text und Bild, die einen Mehrwert haben. Oder ästhetisch sind. Und bewegen. Auch strategisch mischt sie gerne auf, ob als Chefredakteurin oder als zukünftige Entrepreneurin. Als Kind der späten 80er ist sie jung auf den Geschmack des Reisens gekommen. Und liebt es noch immer. So sehr, dass ihr die Ortsunabhängigkeit besonders wichtig ist, hätte da nicht eine Liebe namens Wien dazwischen gefunkt. (Foto: privat)