How to be brave on your own?

Als globale Vernetzung mit einer (virtuellen) Community noch keine Option war, blickten Queers oft in die Vergangenheit, um mit Gleichgesinnten in eine (imaginäre) Gemeinschaft über die Zeiten hinweg einzutreten und sich in Figuren vergangener Zeiten widerzuspiegeln. 

Vergangenheit bewahren

Besonders die westdeutsche Schwulenbewegung hatte einen starken archivarischen Drang, die eigene Vergangenheit zu entdecken, zu dokumentieren und für kommende Generationen zu bewahren. Die Erinnerung an die Verfolgung homosexueller Männer in der Nazi-Zeit, wie auch die Entdeckung beinahe vergessener Vorläufer der Emanzipation wie Magnus Hirschfeld, gaben dem politischen Kampfalltag Inspiration und drive.

Aber auch im digitalen Zeitalter bedarf es einer queeren Erinnerungskultur, die den Figuren und Orten, Empfindungen und kleinen Dingen gedenkt, die für Queers eine ganze Welt ausmachen können. Der bildende Künstler Philipp Gufler, seit 2013 aktives Mitglied im Forum Queeres Archiv München, hat sich so einer Erinnerungsarbeit verschrieben. 

Erinnerungsquilts

Wie zum Beispiel in der Serie „Quilts“, in der er – wie im berühmten AIDS Memorial Quilt – queeren Personen, Orten und Zeitschriften gedenkt, zu denen er eine künstlerisch oder persönliche Verbindung spürt. Die mittlerweile 50 Quilts funktionieren wie ein Archiv der Gefühle, eine persönliche Geschichte queerer Empfindlichkeit.

Teils dokumentarisch, teils poetisch versuchen die mit Fotos, Texten und Grafiken, oft in zarten Farben bedruckten Stoffbahnen, die queeren Geister sanft in die Ausstellungsräume zurückzurufen und die Erinnerung an sie für kurze Momente aufleben zu lassen. Gufler erinnert an queere Größen wie Magnus Hirschfeld, und widmet sich intensiv der lokalen Münchner Queergeschichte.

© Hans D. Christ

So hat er Quilts für den Schriftsteller Gustl Angstmann („Ein ganz normaler Mann“), die noch viel zu wenig bedachte Performance-Künstler:in Rabe perplexum, den Camp-König Ludwig II, die Malerin Lorenza Böttner, deren Werk gerade international wiederentdeckt wird, oder „Bei Cosy“ – die Kneipe der Künstlerin Cosy Pièro, in der bereits in den frühen 1960er Jahren Lesben, Schwule, Trans*-Personen und sogar Heten gemeinsam feierten – gestaltet. 

Quilt #26 (Lana Kaiser)

Manchmal schwappt dabei die Erinnerung auf anderen Medien über. „Quilt #26 (Lana Kaiser)“ wird von einem gleichnamigen Fanzine und Kurzfilm ergänzt, letzterer läuft seit zwei Jahren auf queeren Filmfestivals weltweit und wurde jüngst im Münchner Haus der Kunst gezeigt.

„Lana Kaiser“ ist ein einfühlsames Porträt der 2018 auf einem Kreuzfahrtschiff spurlos verschwundenen Sänger:in, die unter ihrem Geburtsnamen Daniel Küblböck mit der Sendung „Deutschland sucht den Superstar“ in den frühen 2000er Jahren berühmt wurde. Gufler zeigt Kaiser als queeres Idol einer Zeit, die weder Sprache, noch Bilder, geschweige denn Verständnis für eine solche Queerness hatte. Ihr Stolz und die in jedem Fernsehbild aufscheinende, beinah unzerstörbare Lebensfreude und Widerstandskraft gaben jedoch einer ganzen Generation von Queers Kraft und Inspiration. 

Philipp Gufler „Lana Kaiser“, 2020 13 minutes, HD, 4 x 3 ratio Music: Rory Pilgrim; Director of photography: Julia Swoboda; Color corrections: Theo Cook; Sound: Nathalie Bruys; Courtesy BQ, Berlin and Philipp Gufler

Am 8. September 2022 eröffnet in der Müncher Lothringer13 die Ausstellung „Exzentrische 80er: Tabea Blumenschein, Hilka Nordhausen, Rabe perplexum und Kompliz:innen aus dem Jetzt“, co-kuratiert von Philipp Gufler.

Seine Künstlerbücher sind im Hammann von Mier Verlag erhältlich. 

Bilder:

Philipp Gufler: Quilts, 2013 –

Auswahl von 16 Quilts einer offenen Serie, Größe variabel, Material variabel

Courtesy: BQ, Berlin; François Heitsch, München; Sammlung zeitgenössische Kunst der Bundesrepublik Deutschland; Privatkollektion

Installationsansichten Württembergischer Kunstverein 2021. Fotos: Hans D. Christ