Diskriminierung hier und da und überall

Als weißer, alter, heterosexueller Mann müsste man geboren sein. Ja, das ist unlogisch und unmöglich. Ein hetero- und cis-Mann navigiert in unserer Welt aber schlicht einfacher als ein schwuler Mann, der als arabisch identifiziert wird. Ayyaz* und Bassam* sprechen über Diskriminierungserfahrungen, und wie sie damit leben – müssen. 

In der U-Bahn-Station fast angespuckt werden, ständig gefragt werden woher man denn kommt, und die Aussage „Du sprichst aber gut Deutsch!“, wenn man in Österreich geboren ist. Das sind nur einige der Erfahrungen die Ayyaz in Österreich gemacht hat. Ayyaz ist Österreicher, studiert Jus und arbeitet momentan in der Modebranche. Alles ganz Durchschnitt also. Außer, dass er iranische Wurzeln hat. Und schwul ist.  Bassam ist auch homosexuell, er ist 2015 aus dem Irak nach Österreich gekommen. Dorthin zurück will er auf keinen Fall, aus Angst. Doch auch hier ist die Angst ein ständiger Begleiter. Die zwei Männer haben bisher viele Diskriminierungen erfahren. Weil sie schwul sind, weil sie muslimisch sind, oder die Leute das denken. Weil Bassam aus dem Irak kommt und weil Ayyaz Vorname nicht deutsch klingt. Bei Intersektionalität ist für jede*n was dabei.

Intersektionalität

Der Begriff Intersektionalität stammt aus dem Englischen und leitet sich von „intersection“ – zu Deutsch Kreuzung – ab. Geprägt wurde er Ende der 1980er-Jahre von der Juristin Kimberlé Crenshaw. Sie zieht diesen Vergleich heran um zu verdeutlichen, dass, genauso wie Verkehr an einer Kreuzung aus unterschiedlichen Richtungen kommt, auch Diskriminierungen in verschiedenen Richtungen verlaufen. Wenn ein Unfall passiert, kann dieser von Verkehr aus jeder Richtung verursacht worden sein. Prof. Dr. Zülfukar Çetin, Experte für Migration und Diversity, erklärt Intersektionalität als eine besondere Form von Machtstruktur. Er erläutert: “Macht hat mehrere Facetten. Einerseits kann Macht Privilegien ermöglichen und sichern, andererseits kann Macht Diskriminierungen entlang bestimmter Kategorien begünstigen. Rassismus, Heteronormativität bzw. (Hetero-)Sexismus sowie Kapitalismus sind die Machtstrukturen, die miteinander verwoben sind.“ Als Beispiel führt er an, dass eine lesbische, muslimische Frau, die gleichzeitig arbeitslos und unter einer chronischen Erkrankung leidet, entweder aufgrund einer der genannten Eigenschaften oder aufgrund mehrerer Eigenschaften diskriminiert wird. Welche Eigenschaften treffen auf meine zwei Interviewpartner* zu, wo werden Diskriminierungen sichtbar und wie soll man diese miteinander verwobenen Machtstrukturen auflösen? Eines nach dem anderen.

Symbolbild | © Trần Toàn on Unsplash

Rassismen lieber versteckt oder direkt?

Ayyaz erzählt von einem Deutschlehrer, mit dem er sich auf einer Online-Dating-Plattform vor einiger Zeit unterhalten hat. Er hat seinem Date erzählt, dass er Österreicher ist, seine Eltern aber aus dem Iran hierher gezogen sind. Woraufhin ihn der Deutschlehrer für sein gutes Deutsch gelobt habt. Wenn Ayyaz neue Menschen kennenlernt, im Job oder privat, wird ihm die Frage:“ Woher kommst du?“ gestellt. Prof. Dr. Çetin erklärt, dass mit solchen Aussagen dem Gegenüber die Nichtzugehörigkeit zu einem Land zum Ausdruck gebracht wird. Er führt aus, dass Menschen durch solche Handlungen Diskriminierungen erfahren, indem sie ständig daran erinnert werden, sie gehören eigentlich nicht „hierhin“. Aber das war doch gar keine Absicht, und es war ja gut gemeint, mögen sich jetzt einige denken. Doch nur, weil Vorurteile und Rassismen unreflektiert geäußert werden, verschwinden diese nicht einfach auf dem Weg zum Ohr des Gegenübers. Ayyaz hat gelernt damit umzugehen, es bleibt ihm auch keine andere Wahl. Die Frage nach seiner Herkunft erklärt er sich meistens mit Interesse an seiner Person, auch wenn er zugibt, dass man das vielleicht „eleganter fragen könnte“. Und der Deutschlehrer? Unmatch! Doch auch klar rassistische Kommentare muss er sich anhören, als ein ehemaliger Arbeitskollege, der wusste, wo Ayyaz geboren ist, zum Beispiel lapidar meinte:“ Im Iran ist ja dauernd Krieg. Da musst eh sehr dankbar sein, dass du in Österreich leben darfst.“ Als Österreicher? Ja, klar.

Homophobie immer dabei

Zwei Fragen zum Einstieg: Hast du schon einmal dein*n Partner*in in einem Kaffeehaus geküsst? Wurdest du deswegen gebeten, dass Café zu verlassen? Wenn du die erste Frage mit ja, und die zweite mit nein beantwortet hast, dann bist du ziemlich sicher hetero. Ayyaz hat genau so eine Situation erlebt, als er im Museumsquartier in Wien in einem hippen Lokal saß. Er sagt:“ Dem Kellner war es unangenehm, der hat mir ein bisschen leidgetan.“ Auch Bassam erzählt von einem Erlebnis, bei dem er völlig unerwartet mit Homophobie konfrontiert war. Bei einem Ausflug an den Attersee spazierte er mit Freunden an einer „netten, alten Frau vorbei, die plötzlich ‚Verschwinde, du Schwuchtel‘ geschrien hat“. In beiden Fällen haben die zwei schwulen Männer nicht reagiert, sondern einfach versucht die Situation so schnell wie möglich zu verlassen. Generell passen sich die beiden an, sie navigieren in einer heteronormativ geprägten Gesellschaft und können jederzeit die Konsequenzen dieser Heteronormativität zu spüren bekommen. 

Fetischisieren oder exotisieren, das ist die Frage 

Manche mögen’s gerne hart, andere wollen lieber ein Kuscheltier im Bett, und manche stehen eben auf arabische Männer*. Fetische sind vielfältig und tun keinem weh, oder doch? Bassam und Ayyaz berichten mir von ihren Dating-Erfahrungen, besonders von Schwulen, die auf arabische Männer stehen. Ayyaz sagt, in der Schwulen-Community wird viel direkter kommuniziert welche Vorlieben man hat, was er generell auch gut findet. Oft werden damit aber rassistische Vorurteile transportiert. Prof. Dr. Çetin klärt auf:“ Wenn ein schwuler Mann als türkisch oder arabisch identifiziert wird, werden ihm oft bestimmte Eigenschaften zugeschrieben, die ihn entweder als „orientalisch gay“ exotisieren, oder als schutzbedürftiges Opfer eines Islam essentialisieren.“ Ersteres haben sowohl Bassam als auch Ayyaz schon öfters erlebt. Ayyaz erzählt vom Stereotyp des schwulen arabischen Mannes*:“ Wenn ich als erstes ein Kompliment zu meinem Bart bekomme, werde ich schon misstrauisch. Es kommen dann oft so klischeehafte Vorstellungen, dass ich überall behaart bin, einen großen Schwanz habe, muskulös und grob im Bett bin, und es fallen Bemerkungen wie „Du Macho-Fucker“. Da werde ich in eine Schublade gesteckt, das ist für mich dann echter Rassismus.“ Auch Bassam kennt das gut, und meint:“ Die sind dann oft enttäuscht und meinen, ich sei zu „schwuchtelhaft“, das haben sie nicht erwartet.“ Dass solche Zuschreibungen und Kommentare ausgrenzend und verletzend sind, ist vielen nicht klar oder sie ignorieren es, erzählen mir die beiden. 

“Ich werde eher aufpassen müssen, welche Bewegungen ich mache, wie ich rede, nicht zu viel zu gestikulieren, um nicht auffällig zu sein und nicht als ‚Paradeschwuchtel‘ definiert zu werden.“

Ayyaz

Die Angst durchdringt alles

In vielen Situationen outen sich Ayyaz und Bassam nicht. Ayyaz hat sich an einem ehemaligen Arbeitsplatz nicht geoutet. Das Arbeitsumfeld war nicht sehr tolernt. Dass er schwul ist und iranische Wurzeln hat, hätten dort nur wenige akzeptiert. Das ist nur ein Beispiel indem die verwobenen Machtstrukturen und somit Intersektionalität deutlich wird. Auch was seine zukünftige Arbeit angeht macht er sich Gedanken. Er will nach Abschluss seines Jusstudiums auch in diesem Bereich arbeiten, aber:“ Die Ängste begleiten mich. Später in der Arbeit, kann ich nicht so offen sein, wie ich das jetzt bin. Ich werde eher aufpassen müssen, welche Bewegungen ich mache, wie ich rede, nicht zu viel zu gestikulieren, um nicht auffällig zu sein und nicht als ‚Paradeschwuchtel‘ definiert zu werden.“ Doch den Job zu bekommen ist die erste Herausforderung, mit dem Vornamen Ayyaz eine umso größere. Hier ist er wieder in einer Situation gleichzeitig von Rassismus und Homophobie betroffen. 

Bassam und Ayyaz haben sehr unterschiedliche Lebensgeschichten, und dennoch sehr viel gemeinsam. Diskriminierungen ziehen sich wie ein roter Faden durch ihren Alltag. Durch ihre Erfahrungen machen die beiden sichtbar, dass sie diesen ständig ausgesetzt sind. Manchmal kann man die Richtung genau benennen, das ist dann die Rassismus-Spur oder Homophobie-Spur oder Heteronormativitäts-Spur, doch oft kommt es zu einer Massenkarambolage und alle Machtstrukturen überfahren einen. Tägliche Verletzungen sind dabei die Regel. 

* Namen von der Redaktion geändert.

Titelbild: Symbolbild, Yanal Tayyem on Unsplash