Das homoerotische Prunkstück

von Susanne Lamm und Natascha Ramic

Welche skandalösen Hintergründe verbergen sich hinter diesem römischen Silberbecher mit homoerotischen Szenen? Weshalb wollte das British Museum in London zunächst nichts damit zu tun haben? Mit solchen und ähnlichen Fragen beschäftigen wir, Susanne Lamm und Natascha Ramic, uns alle 2 Wochen in unserem Archäologie Podcast „Artefakte erzählen“.

Der Warren Cup hat seit seiner Entdeckung vor etwa 110 Jahren eine heute fast unvorstellbare Geschichte hinter sich. Angefangen hat alles mit einem faszinierenden Fund in der Nähe von Jerusalem, der dem adretten US-amerikanischen Sammler Edward Warren zum Kauf angeboten wurde. Warren war Sohn einer reichen Industriellenfamilie aus Boston und zog um 1880 nach England, wo er in Oxford seinen langjährigen Lebenspartner, den Archäologen John Marshall, kennenlernte. Gemeinsam zogen sie in ein opulentes Haus nach Sussex, wo sie bald begannen, eine Kunstsammlung mit (homo)erotischen Objekten aufzubauen: griechische Vasen und Statuen, wie etwa eine extra angefertigte Kopie von Rodins „Der Kuss“, die in dem verschlafenen Örtchen Lewes für Furore sorgten. Den später als „Warren Cup“ bekannten Becher erwarb Edward Warren, weil dieser in so einer Sammlung nicht fehlen durfte.

Der Warren Cup wird in die Jahre um Christi Geburt datiert und dürfte in der Levante hergestellt worden sein. Er ist der einzige bis heute erhaltene Silberbecher, der explizite homoerotische Szenen darstellt – nicht, dass die Römer diese nicht abgebildet hätten, denn Zimmerwände und keramisches Tafelgeschirr wurden oft sowohl mit hetero- als auch homosexuellen Szenen verziert. Antikes Silbergeschirr ist aber nur dann erhalten geblieben, wenn es vor Plünderern oder ausbrechenden Vulkanen versteckt worden ist (nachzuhören in der Folge „Der Schatz in der Zisterne“). Im Fall des Warren Cups geht man dabei von der Zeit des Jüdischen Krieges (66-70 n. Chr.) aus. 

Dieser Silberbecher wurde bei Gelagen dazu verwendet, um daraus Wein zu trinken. Ah, die guten alten Zeiten, als man diese noch veranstalten durfte! Beim Zuprosten konnte man sich herrlich über die Darstellungen auf dem Behältnis unterhalten – und da konnten erotische Darstellungen sicher für unterhaltsame Diskussionen sorgen, spielten doch die Szenen auf päderastische Beziehungen an. Während diese im antiken Griechenland auch mit den Begriffen Erastes (Liebender) und Eromenos (Geliebter) institutionalisiert waren, waren homosexuelle Beziehungen im antiken Rom stärkeren Normierungen unterworfen: Ein römischer Bürger durfte nur als “aktiver” Part eine geschlechtliche Beziehung mit einem männlichen Sklaven oder Prostituierten eingehen, um seine Männlichkeit nicht zu verlieren. In diesem Kontext sind nun die Darstellungen am Warren Cup eigentlich “unrömisch”, denn bis auf den Sklaven, der durch die Tür späht, sind alle Dargestellten Freie. Das zeigt sich besonders gut bei den beiden jüngeren Männern, denn sie sind durch ihre hochgesteckten Zöpfe als Freie gekennzeichnet. Die Zöpfe wurden am Beginn ihres Erwachsenseins in einem Tempel geopfert. Mit dem Silberbecher war also auf einem römischen Gelage sicherlich für Gesprächsstoff gesorgt.

Für reichlich Gesprächsstoff sorgte der Warren Cup auch seit dem Tod seines Namensgebers. Viele Museen wollten ihn wegen den Motiven nicht kaufen, und selbst der US-amerikanische Zoll verbot in den 1950ern seine Einfuhr, weshalb er lange nur im privaten Besitz blieb. 1999 wurde er dann doch vom British Museum angekauft und ist seither dort ausgestellt. Und auch die These, er sei eine extra für Warren angefertigte Fälschung, ließ ihn in den Medien präsent sein. Letztere konnte aber widerlegt werden, sodass er weiterhin als Prunkstück römischer Handwerkskunst und Frivolität gelten kann.

Über den skandalösen Warren Cup wird auch heute noch gerne geredet: Folge 12 des Podcasts “Artefakte erzählen”, überall wo es Podcasts gibt. Instagram: @artefakte_erzaehlen 


Titelbild: Warren Cup | © Marie-Lan Nguyen / Wikimedia Commons / CC-BY 2.5