Lena lesend auf einer Bank

Le(s)ben und Le(s)ben lassen

Wie sichtbar sind Lesben in unserer Gesellschaft? 

Nach etwa drei Wochen, zwei Datingprofilen und einer Verbannung von Tinder glaube ich, die Frage mit einem klaren “Ja. Nein. Also…nicht wirklich. Glaube ich.” beantworten zu können. Mir war zwar von Anfang an bewusst, dass Lesben in unserer Gesellschaft eher un- als sichtbar sind. Doch wie gut sie sich tatsächlich verstecken, war mir nicht klar. Als queere Frau mit queeren Bekannten, Freunden und Familie, sollte es doch eigentlich nicht so schwer für mich sein lesbische Personen für ein Interview zu finden. Sollte es nicht – war es dann aber doch.

Kennst du irgendwelche Lesben?

Ich habe den Auftrag bekommen eine Reportage darüber zu schreiben, wie sichtbar Lesben in unserer Gesellschaft sind. Hieß also, dass ich jemanden für ein Interview finden sollte, vorzugsweise eine Lesbe. Also fragte ich einmal jede queere Person in meinem Freundes- und Bekanntenkreis, und meine drei queeren Geschwister. Die einzige Lesbe die sich finden ließ, war eine Freundin der Freundin meiner kleinen Schwester, namens Lena. Also hatte ich meine erste Interviewpartnerin gefunden. Fehlte nur mehr eine zweite, und die ließ etwas länger auf sich warten.

Warum machst du nicht einfach ein Datingprofil?

Auf meine Beschwerden hin, dass ich keine zweite Interviewpartnerin fand, meinte meine Schwester nur: „Warum machst du nicht einfach ein Datingprofil?“ Ob das als Journalistin ethisch vertretbar ist? Solange man mit offenen Karten spielt anscheinend schon. Also erstellte ich ein Profil auf Tinder und eines auf Her, letzteres ist eine Dating App die rein für queere Frauen ist. Beide Profile beinhalteten die gleichen Fotos, den gleichen Text – und nur eines davon existiert noch. Denn offensichtlich hat Tinder weder mit sehr expliziten Fotos oder sexueller Belästigung ein Problem (ich spreche hier aus Erfahrung), aber wenn es um queeren Journalismus geht, wird sofort gehandelt. Mein Tinder-Profil war keine drei Tage lang online bevor es, sowie meine Handynummer, permanent gesperrt wurden. Mein Her-Profil steht bis heute noch und hat mir auch meine zwei weiteren Interviewpartnerinnen beschert. Susanne und Barbara sind beide Anfang dreißig, oder in Susanne’s Fall 25, 24, 22, oder 21, ich bin mir nicht mehr ganz sicher, wo wir dann am Ende gelandet sind. Beide sind erfolgreich in ihren Jobs, weshalb sie anonym bleiben wollen. 

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Hilft dir das für dein Interview?

In meiner Bio auf Her und Tinder stand, dass ich für ein Interview Personen suche, die zwischen 2000 und 2010 als junge Lesbe die österreichische Gesellschaft erlebt hat. Susanne war eine der Ersten die mir schrieb, und davor auch meine Bio gelesen hat.

„Hey Lena. Ich bin […] geboren und habe mich mit 16 geoutet bzw. wusste ich mit 16 ‚ich bin lesbisch‘. Hilft dir das für dein Interview?“

Das tat es tatsächlich, und nachdem ich ihr ein paar mehr Informationen zukommen ließ, sagte sie zu.sagte sie sogar zu. Jedoch hatte sie Bedenken bezüglich des dazugehörigen Fotoshootings. Sie arbeitet in einem großen Unternehmen und ist dort nicht wirklich out. Das heißt, dass ihre Mitarbeiter*innen und vor allem ihre Vorgesetzten nicht wissen, dass sie lesbisch ist. Sollte also eine Reportage über Lesben mit Fotos von ihr erscheinen, könnte das (ernsthafte) Konsequenzen haben. Fotos sind zwar ein wichtiger Teil einer Reportage, doch sind sie es nicht wert, dass dafür jemand zu Schaden kommt. Also entschieden wir, nur das Interview zu machen und ihre Identität so weit möglich geheim zu halten. Das Gleiche galt für eine ihrer Freundinnen, die sie noch für ein Interview anwerben konnte. 

Warum glaubst du outen sich Lesben nicht?

Eine der ersten Fragen die ich mir, und dann auch meinen Interviewpartnerinnen stellte, war wieso Lesben sich (manchmal) nicht outen. Ihre Antworten, trotz des Altersunterschieds, waren sehr ähnlich. Man weiß nie wie Personen darauf reagieren, sie können die tolerantesten Menschen sein, tierlieb und anti-rassistisch, doch Homosexualität geht dann für sie gar nicht. Es ist nie klar was genau auf einen zukommt, also ist generell immer Vorsicht angesagt. Mit der Zeit entwickelt man dann ein Gefühl dafür bei wem man sich outen kann und bei wem nicht. Wo korrigiere ich wenn angenommen wird, dass ich einen Freund habe und wo spiele ich der Sicherheit halber mit. Eigentlich sollte es kein großes Thema sein sich zu outen, eigentlich sollte es gar nicht erst notwendig sein. Doch in unserer Gesellschaft, in der Heterosexualität zur Norm erklärt wurde, ist jede Person „straight until proven otherwise“. Und wer nicht heterosexuell ist, bekommt ein weiteres Gewicht angehängt, das es noch schwerer macht in dieser Gesellschaft voranzukommen. Susanne hat nicht vor sich bei ihrer Arbeit zu outen, denn sie möchte noch mindestens eine weitere Stufe auf der Karriereleiter erklimmen, und Frau sein alleine ist hier schon ein Nachteil, da muss man nicht noch Homosexualität anhängen.

Man weiß nie wie Personen darauf reagieren, sie können die tolerantesten Menschen sein, tierlieb und anti-rassistisch, doch Homosexualität geht dann für sie gar nicht.

Existieren Lesben nur weil Männer es scharf finden?

Laut Dr. Menelaos Apostolou, einem Professor an der Universität Nikosia in Zypern, gibt es Lesben, weil der Mann es so will. Oder in anderen Worten, Frauen schlafen mit Frauen, um Männern zu gefallen. Apostolou’s 2017 erschienener „wissenschaftlicher“ Artikel „The evolution of female same-sex attraction: The male choice hypothesis“ behauptet, dass gleichgeschlechtliche Anziehung in Frauen existiert, weil Männer diese anziehend finden. Die Teilnehmer dieser Studie waren, wenig überraschend, ausschließlich heterosexuell. Der Artikel hat nach seinem Erscheinen, verständlicherweise, für Aufsehen und Spott gesorgt. Nichtsdestotrotz zeigt er sehr klar die Haltung, die in unserer westlichen Gesellschaft Lesben gegenüber eingenommen wird.

Nicht ohne Grund ist „Lesben“ eine der beliebtesten Kategorien auf Pornhub. Nicht nur jede meiner Interviewpartner*innen, sondern auch ich selbst, musste schon sexuell explizite Kommentare und Fragen von Fremden, Bekannten und Freunden*innen über sich ergehen lassen. Sobald ans Licht kommt, dass frau Frauen anziehend findet, ist jegliche Scheu verflogen. Das Privatleben queerer Frauen* ist dann ganz schnell alles andere als privat. Lena meint, dass es oft nicht im Bewusstsein der Menschen ist, dass es eine echte Sexualität, eine echte Realität eines Menschenlebens ist und nicht nur ein Porn-genre.

Kein Wunder also, dass Lesben eher versteckt sind. Entweder sie existieren als Pornos oder sie existieren gar nicht.

Wer ist Lena jetzt nochmal?

Lena ist eine 19-jährige Studentin, die in einem toleranten Umfeld aufgewachsen ist. Wobei tolerant in der Queer-Community sehr relativ ist. Sie hat Eltern, die sie unterstützen und keine Kommentare über ihre Sexualität zulassen, auch nicht von den eigenen Verwandten. Somit hat sie nicht nur von ihren Freund*innen, sondern auch ihrer Familie Rückenstärkung. Was die Öffentlichkeit angeht, sieht das schon anders aus. Händchenhalten mit ihrer damaligen Freundin wurde mit schrägen Blicken, und viel zu oft auch sexuell expliziten Kommentaren, begegnet. Der Standard also. Susanne erzählt mir fast die gleiche Geschichte, von komischen Blicken, Abscheu und sexueller Belästigung als Reaktion auf ihre Existenz als Lesbe in der Öffentlichkeit. Kein Wunder also, dass Lesben eher versteckt sind. Entweder sie existieren als Pornos oder sie existieren gar nicht. 

Lena blickt frontal in die Kamera
Lena | © Sabrina Petz

Und was haben wir aus dem Ganzen eigentlich gelernt?

Erstens, Lesben sind wirklich gut im Verstecken spielen. Zweitens, Lesben sind scharf, aber nur für heterosexuelle Männer. Drittens, Tinder hasst lesbischen Journalismus, aber sexuelle Belästigung und das Fetischisieren von queeren Frauen ist voll okay. Also kurz gesagt, was Lesben betrifft: 

(männliche) Fantasie ja, (lesbische) Realität nein. 

Und das war gerade mal die Spitze des Eisberges. Wir sind noch nicht bei den Goldstar-Lesben, der Hierarchie und der Bi-/Trans-phobie in der Lesben-Community, den heterosexuellen Rollenbildern in homosexuellen Beziehungen, der Diskriminierung von lesbischen Frauen durch heterosexuelle Frauen, Spott und Verstoßung durch die eigene Familie, (Kindheits-)Trauma als „Auslöser“ für Homosexualität, der mangelnden und mangelhaften Repräsentation in den Medien, der Vertuschung von Lesben in der Geschichte, oder eine der anderen tausenden Problematiken angekommen, mit denen lesbische Frauen* in unserer heteronormativen Gesellschaft konfrontiert werden. Aber wer will da schon darüber reden.

Titelbild: Lena | © Sabrina Petz