Wir müssen über Pornographie reden

Was (queer-)feministische Pornographie ist, warum Mainstream Porn langsam ausgedient hat und warum wir alle für unseren Pornographiekonsum zahlen sollten.

Wir reden nicht gern über sie, konsumieren sie meist heimlich, salonfähig ist sie schon gar nicht und trotzdem ist sie überall: die Pornographie. Also Mainstream Pornographie zumindest, aber da greifen wir jetzt ein bisschen zu weit vor. Vielleicht konzentrieren wir uns besser einmal auf die Pornographie selbst und was sie eigentlich ist – und besser noch, warum sie ist. Klingt jetzt vielleicht ein bisschen lächerlich, denn Pornographie, das kennen wir doch?

Wir müssen nur einen Blick darauf werfen, um urteilen zu können: Ja, das ist Pornographie, eindeutig, ohne Zweifel. Aber woran genau machen wir dieses Urteil fest? An den nackten Körpern, die sich vor der Kamera präsentieren? An den verschiedensten Sexakten, die uns vorgeführt werden? An den diversen Körperflüssigkeiten, die über den Bildschirm spritzen? Und überhaupt, muss Pornographie immer visuell sein? 

Das Warum

Natürlich ist Pornographie nicht nur (audio-)visuell, auch wenn es heutzutage ob der Videoflut im Internet leicht den Anschein haben mag. Alle die jetzt nicht unbedingt mit dem Internet aufgewachsen sind, erinnern sich vielleicht noch an Magazine, die tuschelnd unter der Schulbank ausgetauscht wurden, an Leser:innenbriefe die meist mit “Liebes Penthouse…” begannen, an Hotlines die für hohe Telefonrechnungen sorgten, an Groschenromane mit muskulösen Helden auf dem Umschlag, Hemd leicht aufgeknöpft, Haare wehend im Wind, großbusige Heldin schwach in den Armen. All das ist ebenfalls Pornographie.

So, wo sind jetzt die Gemeinsamkeiten? Und hier kommen wir endlich zum Kern der Sache: dem Warum. Warum konsumieren wir Pornographie? Warum wird Pornographie hergestellt? Um es ganz klipp und klar zu sagen, Pornographie erregt mehr als nur die Gemüter. Pornographie erzeugt Lust. Wenn wir sexuelle Erregung und Lust empfinden wollen, greifen wir oft auf sie zurück. Pornographie wird explizit für Luststeigerung produziert. 

Symbolbild | © Anna Tarazevich on pexels.com

Dabei vergessen wir oft, dass Pornographie ebenso ein Fantasieprodukt ist wie andere Unterhaltungsmedien auch. Besonders in Mainstream-Pornographie ist der abgebildete Sex alles andere als real oder authentisch. Das eigene Sexleben mit dem in Pornos gesehenem zu vergleichen, ist halt auch ungefähr so, als zu glauben, dass der Bachelor wirklich heiratet. Pornographie ist eben sowohl Lustprodukt als auch Unterhaltung, und auch für nichts anderes intendiert – schon gar nicht als Sexualkunde.

Kein Wunder also, dass hier ein falsches Bild von Sex und Sexualität entstehen kann, ein Idealismus aus großen Brüsten, immerwährenden Erektionen, komplett enthaarten Körpern, penetrativer Gymnastik und Analsex ohne jegliche Vorbereitung. Als Unterhaltungsprodukt mag Pronographie zwar keinen besonders starken Realitätsanspruch haben, aber das heißt nicht, dass wir uns mit diesem Idealismus zufrieden geben müssen. Womit wir nun endlich bei Mainstream Pornographie angelangt sind. 

Das Was

Nie wurde mehr Pornographie produziert als heute – davon zeugen allein die abertausenden Kategorien auf diversen Tube Seiten. Hier gibt es scheinbar alles, um sexuelle Gelüste abzudecken, von A wie Amateur bis Z wie Zimmermädchen. Außer Lesben Porn für echte Lesben. Oder ein Orgasmus ohne Money Shot. Oder eine Variation an Körpern. Oder überhaupt erregende Handlungen und Ästhetiken, die nicht für cisdyadisch-heterosexuelle Männer gemacht scheinen.

Nach der zehnten Extremnahaufnahme eines erigierten Penis wird schnell klar: Irgendwie ist das alles gleich, die scheinbare Vielfalt ein fader Einheitsbrei. Die Körper der Darstellerinnen sind zum Verwechseln ähnlich, sexuelle Handlungen laufen immer gleich und strikt heterosexell ab, es scheint mehr Wert auf Akrobatik als Authentizität gelegt zu werden, zum Höhepunkt kommen nur Männer, und enden tut das Ganze mit der Ejakulation des Hauptdarstellers. Kurzum: Viel Variation gibt es hier, im sogenannten Mainstream der Pornographie, nicht.

Für wen

Nach dem was und dem warum kommen wir also jetzt zum für wen: Mainstream Pornographie wird in erster Linie von und für cisdyadische-heterosexuelle Männer gemacht. Weiße, cisdyadische-heterosexuelle Männer. Rassismus, Homophobie und Objektifizierung inklusive. Die Körper der Darsteller:innen sollen hier rein eine Projektionsfläche für die Lust des Zusehers sein, durch die Kamera fragmentiert werden sie zu Objekten, die mechanisch eine Liste von sexuellen Handlungen abhaken ohne dabei scheinbar selbst besonders viel Lust, Intimität, Zärtlichkeit oder einfach Spaß an Sex zu empfinden. Blowjob, Check.

Ein bisschen Cunnilingus, Check. Penetrativer Sex in diversen Stellungen mit Extremnahaufnahmen, Check. Money Shot, Check. Ende. Mit dem Orgasmus des (oftmals scheinbar nur aus einem Oberkörper bestehenden) männlichen Darstellers endet das Ganze. Diversität (in allen Formen) sucht Mensch hier vergeblich.

Symbolbild | © Joshua Mcknight on pexels.com

Für alle

Wagen wir uns aber über das Dickicht an strammen Muskeln und gebleichten Ani (ja, das ist anscheinend der deutsche Plural von Anus, ich hab ihn auch erst ergoogeln müssen) hinaus, finden wir eine fabelhafte Welt aus Lust, Begehren, Intimität und echter Variation. Abseits der Mainstream Industrie hat sich in den letzten Jahrzenten in der Form von (queer-)feministischen Produktionen eine Alternative etabliert, die Lust auf eine andere Art und Weise seh- und erlebbar machen möchte.

Lust, Sex und Leidenschaft soll für alle Körper zugänglich, vergnüglich und schön sein, unabhängig von all jenen kulturellen Konventionen und sozialen Normen, die uns vorschreiben wollen, wie wir Sex zu haben haben. Die Körper, die wir hier lustvoll erleben, haben Rundungen, Dehnungsstreifen, Körperbehaarung, schlaffe Brüste, Narben, Falten und keine perfekt manikürten, falschen Fingernägel. Die Darsteller:innen agieren offen miteinander, besprechen Vorlieben und Grenzen, lachen gemeinsam, erleben gemeinsam, bestimmen selbst, was sie tun, wann, wie und mit wem.

Wir sehen Gleitmittel, Lecktücher, Handschuhe, Vorspiel und Vorbereitung, Strap-ons und Harnesses. (Queer-)Feministische Pornographie entkoppelt Körper von ihrer Geschlechtlichkeit, rückt Lust und Begierde in den Vordergrund, dezentriert den phallistischen Mittelpunkt der Mainstream Pornographie. 

Authentische Lust

In (queer-)feministischer Pornographie sind Darsteller:innen keine passiven Sexobjekte sondern aktive Akteur:innen, die vollkommene Kontrolle darüber haben, was sie tun und daran sehbar (und hörbar) Lust empfinden. Konsent, Aftercare und eine entspannte, angenehme, wertschätzende und geschützte Atmosphäre sind Pflicht, sowohl vor, als auch hinter der Kamera.

Filmemacher:innen wie Tristan Taormino, Shine Louise Houston, Lucie Blush oder Anne Sprinkle zentrieren hierbei (queer-)feministische Praktiken wie Konsent, faire Bezahlung, Respekt, Mitspracherecht, humane Arbeitsbedingungen und Diversität. (Queer-)Feministische Pornographie ist und bleibt ein Fantasieprodukt, verstehen wir uns hier nicht falsch, aber es ist ein intimeres, authentischeres, diverseres, menschlicheres Fantasieprodukt, das keine cisdyadisch-heterosexuelle Sehweise voraussetzt. (Queer-)Feministische Pornographie ist von allen für alle gemacht, die sich im Mainstream nicht wiederfinden. Und genau deswegen müssen wir umdenken und beginnen, für die Pornographie die wir konsumieren, auch zu bezahlen. 

Symbolbild | © Ketut Subiyanto on pexels.com

Empowerment

Zahlen? Für etwas, das praktisch überall im Netz zu finden und meist nicht mehr als einen Klick entfernt ist? Genau! Eigentlich ist das Ganze sogar recht einfach: Sexarbeit ist Arbeit. Wenn wir diese (etwa in Form von Pornographie) konsumieren, dann liegt es auf der Hand, dass wir diese auch vergüten sollen. Trotzdem ist es für viele unvorstellbar, für Pornos Geld auszugeben.

Zu vielfältig ist das Angebot, zu einfach der Zugang, zu gedankenlos der Konsum. Was ich gratis bekomme, dafür sollte ich doch nicht noch extra zahlen? Doch! Es wird Zeit, dass wir Pornographie nicht als ein Gratisprodukt sehen, sondern als ein Medium, das wie jedes andere auch von und für jemensch produziert wird.

Wenn wir (weiterhin) die Art von queerer, diverser, empowering und wunderschöner Pornographie, in der wir uns und unsere Begehren wiederfinden, sehen wollen, dann müssen wir mit allen Facetten dahinter stehen und diese unterstützen. 

Titelbild: Symbolbild | © Tim Samuel on pexels.com