CSD Belgrad: Erfahrungsbericht

Interview mit Lupo und Stefan vom Verein H.FF.K

Die Europride findet seit 1992 jedes Jahr in einer anderen Gastgeberstadt statt. Wien war das zuletzt im Jahr 2019. Ein problemlos ablaufender CSD wäre für den EU-Beitrittskandidat Serbien ein wichtiges Zeichen für die Beitrittsverhandlungen. Ende August verkündete Präsident Aleksandar Vucic, dass die große Demonstration in Belgrad aus Sicherheitsgründen nicht stattfinden wird.

Aufgrund von steigendem Druck der serbisch-orthodoxen Kirche sowie rechter Gruppierungen wurde die Parade nur wenige Tage vor der Veranstaltung durch das serbische Innenministerium offiziell verboten. Offiziell hat die Parade NICHT stattgefunden. Stattdessen gab es einen rund 1000 Meter langen Spaziergang, bei dem Teilnehmer:innen zu einem Konzert eskortiert wurden.

War eure Reise nach Belgrad geplant?

5 Monate davor hörten wir, dass in Belgrad eine Europride sein wird. Also haben wir beschlossen, dass wir hinfahren. Ich war vor ein paar Jahren bei der Pride in Budapest und habe gemerkt, wie wichtig es ist, dass internationale Leute kommen, denn die haben uns damals schon an die Spitze der Pride gestellt. Nun, in diesem Jahr, ist es so: Belgrad möchte gerne in die EU und ist nicht sehr weit, was die LGTBIQ Rechte angeht. Der Entschluss war klar: Da fahren wir runter. Das wird ein Spaß! Wir fanden sie auch wichtiger als FOLSOM Europe (Folsom Europe ist ein schwul-lesbisches Straßenfest der Leder- und Fetischszene), das eine Woche vorher in Berlin stattfinden würde. Also haben wir die Flüge gebucht und sind dennoch geflogen, als gesagt wurde „es ist abgesagt“.

Wir waren von Anfang an zu fünft, eine von uns haben wir wegen einem abgelaufenen Reisepass an der ungarisch-serbischen Grenze verloren. Zwei Puppys und wir beide haben im selben Hausboot auf der Save gewohnt. Wenn wir schon mit dem Bus runterfahren und uns das antun, wollten wir uns den Luxus gönnen – und für den Fall, dass gar nichts los ist, hätten wir eine kleine interne Party am Hausboot gemacht. Wir haben quasi bis Samstag nicht gewusst, wie es sein wird und erst zu Mittag war fix, dass die Pride zumindest inoffiziell doch stattfinden wird.

Besucher:innen in Belgrad | © Verein H.FF.K

Die Veranstalter:innen der Belgrad Pride haben laufend alle Infos über Instagram bekannt gegeben. Wenn du auf Instagram eine Story postest, ist oben am Bildschirm ein Balken. Bei zwei Storys zwei. Ich habe am Freitag einen Screenshot gemacht: Es waren 100 winzige Punkte oben. Sie haben eine Story nach der anderen rausgelassen. Vielleicht haben sie sich darauf eingestellt, dass die Pride online funktionieren muss. 

Wie war der Check-in?

Die Straßen waren komplett abgesperrt und durch einen kleinen Trichter – rund zwei Personen breit – wurden alle durchgeschleust. Alles war streng bewacht und die, die durchgekommen sind, haben ein Band bekommen und waren damit quasi in der Sicherheitszone. Es war schon mit Abtasten, Taschenkontrolle. Es war aufregend, der Veranstalter hat gesagt, dass man keine besonders auffälligen Verkleidungen tragen soll. Wenn, soll man sich erst vor Ort umziehen. Die Wahrscheinlichkeit, dass man sonst verdroschen würde, sei sehr groß. Wir waren in Leder unterwegs, weil das ist nicht so extrem auffällig ist wie zum Beispiel eine rosa Federboa. Die anderen hatten etwas Regenbogenschminke, die man schnell wieder herunterwaschen kann. Auf der Parade waren schon Regenbogenflaggen und Accessoires im Einsatz, aber sobald man das Stadium oder die Parade verlassen hat, war alles wieder weg.

Ungut waren die Verhaltensregeln. Wenn was ist, soll man in ein Lokal fliehen und sich an die Anweisungen der Polizei halten. Wir sollten auch eine Wasserflasche mitnehmen, um die Augen vom Tränengas auszuspülen. Eine FFP2-Maske war ebenfalls mitzuführen, aber nicht wegen Corona, sondern ebenfalls wegen Tränengas. Am besten auch ein Tuch mitnehmen. Und als wir ankamen, haben wir bereits die ersten professionellen Gasmasken von Teilnehmer:innen gesehen. Der erste Gedanke war dann „Uiii, ich bin mir nicht wirklich sicher,ob ich da hin will“, aber es ist dann alles friedlich verlaufen.

Wie war die Parade?

Während der Parade sind wir bei einer serbisch-orthodoxen Kirche vorbeispaziert und es wurde sturmgeläutet. Sie sind draußen gestanden mit ihren Kreuzen in der Hand. Wir waren da in diesem Park und es hat kurz aufgehört zu regnen. Es war eigentlich sehr idyllisch und darum haben wir uns geküsst.  Wir haben das nicht so interpretiert, als würden sie gegen uns läuten, sondern eher für uns. Die Parade-Teilnehmer:innen waren irre begeistert, dass wir dort waren, und auch von unserem Kuss. Wir haben uns einfach gedacht, das passt ganz gut.

Wir waren jedoch die Einzigen,die das gemacht haben und die tausenden Kameras und Jubelschreie der Leute waren ein starkes Zeichen. Man merkte: Selber hätten sie es sich nicht getraut, aber wenn jemand anders es tut, fühlen sie sich bestärkt. Die queere Szene lebt hier etwas im Geheimen. Es passiert zwar im Alltag meist nichts allzu Tragisches, aber man hält sich zurück.

Besucher:innen in Belgrad | © Verein H.FF.K

Gab es Probleme?

Zweimal sind wir fast in die Gegendemos gerannt. Einmal hat uns eine Gruppe angepöbelt. Zwanzig Meter neben uns gab es eine Schlägerei. Es kam uns aber nicht so vor, als ob diejenigen, die Schwule klopfen wollten, auch extra deswegen dort waren. Es waren diese “Berufshooligans”, die prinzipiell gegen die Polizei auftreten. Ich hatte gar nicht das Gefühl, dass man von jedem Angst haben muss, denn sie sind eigentlich hingekommen, um sich mit der Polizei zu streiten. Auch eine Schlägerei, die beim Checkpoint war, ging gegen die Polizei.

Wir sind dann weiter und haben davon nichts mehr mitbekommen. Es  gab extreme Polizeipräsenz. Die offizielle Angabe von 6000 Einsatzkräften kann stimmen. Sie hatten vielleicht auch etwas Glück, vielleicht auch wir, mit dem Wetter. Es war in der Früh eine Militärparade. Die Leute sind alle waschelnass gewesen. Dann war ein Autorennen –wieder alle waschelnass, es hat geschüttet wie aus Eimern. Dann war die Gegendemo, da sind auch alle nass geworden. Wenn die Nassen frieren, dann haben sie keine Lust, queere Personen zu schlagen. Es war wirklich unangenehm nass. Das Wetter hat uns also tatsächlich in die Hände gespielt.

Wie war die Abschlussveranstaltung?

Am Freitag gab es ein Konzert im Tasmajdan Stadium und auch nach der Parade am Samstag war ein Konzert. Dadurch, dass es dauernd geregnet hat, war es einfach mühsam. Das Wasser ist überall hoch gestanden. Belgrad ist ein wenig hügelig und es sind überall Bäche heruntergeflossen. Und genauso war es auch beim Konzert. Es war schon etwas los, aber das Stadium war nicht voll. Die Hälfte der Leute waren aus dem Ausland – Schweden, Deutsche, Italiener. Am Konzert ist jemand zu uns gekommen und hat gesagt: Wir sind so froh, dass es wenigstens ein paar Leute in Fetischoutfit gibt.” Die Locals haben sich verständlicherweise nicht getraut und auch von den Gästen gab es außer uns nur ein paar wenige. 

Wart ihr später in der Szene unterwegs?

Es waren in allen Straßen, egal wo wir spaziert sind, Polizisten anwesend, auch abseits der Demo.  Als wir zum Abendessen gingen, sind wir einen guten Kilometer gelaufen und da sind alle fünfzig bis hundert Meter Polizisten gestanden. Und auch auf dem Heimweg sind wir an einem Bus voller Polizisten vorbeispaziert, sicher zwanzig auf einmal. Wir haben uns mit zwei Locals getroffen und haben uns mehrere Lokale angesehen. Das erste war so überfüllt, dass nur noch einzelne Personen hineingelassen wurden, wenn jemand das Lokal verlassen hat.

Ein anderes war in einem Einkaufszentrum in einem Seitengang versteckt. Erst ins dritte Lokal sind wir hineingekommen. Als wir in diesem Einkaufszentrum bei diesem Lokal gestanden sind, waren auch queere Menschen direkt vor dem Lokal. Es sind auch Passant:innen vorbeigegangen, es hat aber niemanden gestört. 

Was ist euer Resümee?

Wir haben nicht damit gerechnet, aber uns darauf eingestellt: Es kann heftig werden, es kann sein, dass wir verhaftet werden, es kann sein, dass wir geschlagen werden, dass uns ein Molotov Cocktail trifft, dass uns ein Ziegelstein erwischt. Also es war schon nicht ganz ohne. Die paar, die Schwule schlagen wollten, hatten offenbar nicht die Motivation, die Lokale zu suchen. Es ging ihnen um die Europride und nicht um die teilnehmenden Menschen. Die religiösen Gruppen sind nicht gewaltbereit. Sie sind lieber vor der Kirche gestanden mit einer Ikone.

Abseits der Pride sind schon ein paar verprügelt worden, aber das passiert auch in Linz, in Salzburg, in Wien.

Titelbild: Besucher:innen in Belgrad | © Verein H.FF.K