Ein Plädoyer für queere Solidarität

Martin J. Gössl, Dozent am Institut für Soziale Arbeit der FH Joanneum in Graz, nähert sich in seinem neuesten Buch Unbehaglich Queer zeitgenössischen Widersprüchen und Herausforderungen queerer Lebensweisen an. In angewandter Perspektive übersetzt Gössl theoretische Erkenntnisse der Queer Studies aus den letzten 30 Jahren in aktuelle lebenspraktische Fragen und beleuchtet schlaglichtartig Aspekte queerer Wirklichkeit, wie Wohlstand, Erfolg, Amüsement, Sexualität und Schönheit. 

“Das ernste Spiel mit der Anerkennung”

Die Erkenntnis, dass wir Menschen soziale Wesen sind und unsere Subjektivität ganz grundlegend auf der Anerkennung von Anderen beruht, spitzt Gössl auf die Spezifität queerer Gemeinschaften zu. Einerseits um (politische) Anerkennung von der Mehrheitsgesellschaft kämpfend, versuchen diese gleichzeitig die radikale Unförmigkeit von Queer zu bewahren, als Unordnung, die normative Ordnungssysteme unterwandert und deren (oft gewaltvolle) Machtmechanismen der Exklusion bekämpft. Gössl nimmt dabei die impliziten Normen queerer Kultur unter die Lupe, wie Erfolgsvorstellungen gemessen an Leistung, Liebe und Lust, oder den Mythos des Pink Dollars, also der Vorstellung eines ökonomischen Wohlstands von queeren Personen (bzw. schwulen Männern), und wendet diese – in Erinnerung an die politischen Wurzeln des Konzepts – in ein Plädoyer für Solidaritäten mit queeren Randformen um, die am queeren Fortschritt (bisher) nicht teilhaben können. 

Das Zukunftspotential queerer Kultur

Deutlich wird, dass das queere Projekt längst nicht abgeschlossen ist, wenn auch bestimmte Gruppen, wie weiße schwule Männer, mittlerweile verhältnismäßig wenig Repressionen zu befürchten haben. Um den Reichtum queerer Kultur in die Zukunft zu tragen, muss neben „körperlicher Vitalität, fortwährender Feierlaune und essenzieller Unverwüstlichkeit“ eben auch (sexuelle) Unordnung, revolutionärer Kampfgeist und Solidarität mit jenen, die (immer noch) an den Rand der Gesellschaft gedrängt wurden, kultiviert werden. So setzt das Buch paradigmatisch mit den Stonewall Riots 1969 in New York ein, an denen Drag Queens und Transpersonen maßgeblich beteiligt waren. 

Gerade die westliche schwule Kultur, aus deren Perspektive das Buch formuliert ist, hat sich bisher noch fast gar nicht mit ihrem Rassismus, den vielfältigen Formen von (Trans-)Misogynie, und ihren zahlreichen Barrieren für unterschiedlichste Formen von Behinderung auseinandergesetzt. „Der queere Erfolg besteht aus der gemeisterten Herausforderung, ein emphatisches Leben in einer Gemeinschaft entwickelt zu haben, in der man offene Wertschätzung für seinen Nächsten und dessen Möglichkeiten zum Ausdruck bringt.“ 

Titelbild:

Unbehaglich Queer. Das ernste Spiel mit der Anerkennung

Autor: Martin J. Gössl

Verlag: transcript

Erscheinung: November 2021

154 Seiten

€ 29,-

Cover Credit: transcript Verlag