Unabhängig von ihrer Sexualität verspüren viele Menschen den Wunsch eine Familie zu gründen, diese muss nicht der Konstellation „Mutter, Vater, Kind“ entsprechen. Viele sind durch heterosexuelle Beziehungen Eltern geworden, andere wollen als Single oder als gleichgeschlechtliches Paar gemeinsam ihren Kinderwunsch realisieren.
„Ich hatte in der Kindheit zwei Mütter“
Finn entstand aus einer heterosexuellen Beziehung, sein leiblicher Vater zog jedoch aus, als er noch ein Kleinkind war. Mit dem Eintritt in den Kindergarten bemerkten Finn und seine Schwester, dass ihre Mutter immer häufiger Besuch von einer Frau bekam. „Lina und ich haben uns irgendwann gefragt, warum unsere Kindergärtnerin so oft bei uns daheim ist“, erinnert sich Finn.
Seine Mutter verliebte sich in die Elementarpädagogin ihrer Kinder, die wenig später bei ihnen einzog. Für Finn bedeuteten die Veränderungen keine große Umstellung, da er mit der Partnerin seiner Mutter schon viel Zeit verbracht und zu ihr eine Bindung aufgebaut hatte. „Es war nie ein Thema, dass es anders ist oder etwas, das nicht der Norm entspricht“, erzählt der 23-jährige Student.
Für fast zehn Jahre lebte er mit zwei Müttern, bis ihre Beziehung endete. Während der Kontakt zu der ehemaligen Freundin seiner Mutter abbrach, pflegt Finn bis heute ein freundschaftliches Verhältnis zu seinem leiblichen Vater. „Tiefer verbunden fühle ich mich aber zu meiner [leiblichen] Mutter – vor allem auf emotionaler Ebene.“
Laut einer deutschen Studie klären gleichgeschlechtliche Eltern ihre Kinder tendenziell mehr über verschiedene Lebensformen auf, wodurch sie ein höheres Selbstwertgefühl und mehr Toleranz und Offenheit entwickeln. Dr. rer. pol. Marina Rupp, stellvertretende Leiterin des Staatsinstituts für Familienforschung, begründet jene Charaktereigenschaften auch mit einer intensiven Eltern-Kind-Beziehung: „Die Eltern sind sich ihrer speziellen Situation sehr bewusst und auch der Anforderungen, denen sie ihre Kinder aussetzen.“
„Unser Gesetz definiert eine Familie mit Mutter, Vater und Kind“
Wie etabliert sind Regenbogenfamilien außerhalb von Österreich? Nils wohnt in Slowenien und ist dort in einem Vorort mit seiner Familie aufgewachsen. Seine biologischen Eltern trennten sich, als er fünf Jahre alt war. Ein paar Jahre später stellte ihm seine Mutter ihre Partnerin vor, zu der er während des Erwachsen-Werdens eine enge Bindung aufbaute.
Das Verhältnis zu seinem leiblichen Vater ist bis heute ein sehr Nahes, selbst wenn Nils ihn weniger als Elternteil, sondern mehr als Freund wahrnimmt. Anders als Finn konnte Nils in seiner Kindheit mit seiner familiären Situation nicht besonders offen umgehen, da die kulturelle Offenheit in seiner Heimat noch förderbedürftig ist. Es war seine Mutter die entschied, ihre lesbische Beziehung in Nils‘ Schulzeit zu verheimlichen.
„Sie sagte immer, dass ihre Partnerin eine Freundin des Hauses sei”, erzählt er. “Ich habe meine nicht-leibliche Mutter immer mehr als Elternteil angesehen als meinen biologischen Vater”, beschreibt Nils die Beziehung zu seinen Eltern. Der 29-Jährige wäre gern von der Partnerin seiner Mutter adoptiert worden, damit auch sie offiziell als Elternteil betrachtet wird: „Wenn ich zum Beispiel in einer Notaufnahme bin, möchte ich, dass sie als Teil der Familie dabei ist.” Dem stand in Nils‘ Kindheit jedoch noch das slowenische Gesetz im Weg.
Später, 2009, beriet die Regierung über eine Gesetzesinitiative zur Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe und der Gleichstellung beim Adoptionsrecht, jene Vereinbarung kam nie zustande. Stattdessen wurde zwei Jahre später über einen Ausbau der Rechte von Lebenspartnerschaften inklusive Stiefkindadoption entschieden. Mittlerweile ist die gleichgeschlechtliche Partnerschaft der Ehe rechtlich fast gleichgestellt, die Adoption fremder Kinder ist dennoch nach wie vor nicht möglich.
„Ich kann immer auf meine vier Elternteile zählen“
Auch Hannahs leibliche Eltern trennten sich in ihrer Kindheit. Seit Hannah elf war, lebte ihre Mutter in einer Beziehung mit einer anderen Frau. Zu der Partnerin ihrer Mutter hat sie ein sehr enges Verhältnis und sieht sie als einen weiteren Elternteil. Die Lebensgefährtin ihres Vaters ist Teil ihrer außergewöhnlichen Patchworkfamilie.
„Wenn ich von meinen Mamas rede, sind die Leute hin und wieder irritiert“, erzählt die 25-jährige Sozialarbeiterin. Für sie und ihre Schwester hat sich das Leben als Töchter von vier Eltern natürlich entwickelt und wurde von ihnen nicht infrage gestellt. „Vielleicht liegt das auch an dieser kindlichen Naivität, mit der man noch nicht in diesen Stereotypenbildern denkt.“ Hannahs leibliche Mutter arbeitete zu diesem Zeitpunkt als Politikerin und outete sich als in Graz bekannte Person öffentlich um zu verhindern, dass ihre Sexualität als politisches Instrument missbraucht wird.
Hannah wurde daraufhin in der Schule mit einigen Reaktionen konfrontiert: Während ihre Familiensituation für ihre Mitschüler:innen kaum ein Thema war, zeigten sich Lehrpersonen vereinzelt abgeneigt. „Es gab auch einen Lehrer, der gemeint hat, ich bräuchte mich gar nicht zu melden“, erinnert sich Hannah. Sie führt jene Spannungen jedoch nicht ausschließlich auf das Outing ihrer Mutter zurück, sondern auf ihren Beruf als Politikerin. „Sie war als starke, linke Frau generell ein Angriffspunkt.“
Früher verstand Hannah nicht, warum ihre Familienkonstellation etwas ist, das andere Menschen interessiert. Heute möchte sie dazu beitragen, dass die Gesellschaft über alle möglichen Familienformen aufgeklärt wird und gleichgeschlechtliche Eltern zur Normalität gehören: „Ich würde mir wünschen, dass es kein Thema sein muss.“
Titelbild: Hannah | © Vivi Chabrol
studiert Journalismus und PR mit der Vorliebe dafür, Menschen eine Geschichte zu erzählen. Neben dem Schreiben ist ihre große Leidenschaft die Musik, ob es nun das Hören von Billie Eilish ist oder das Singen am Klavier. Wenn sie nicht gerade vor sich hinsingt, pflegt sie es, mit ganzem Herzen ihren Schäferhund zu streicheln und trotz Widerstand mit ihm zu kuscheln. Ein guter Schlaf gehört zu ihren wertvollsten Errungenschaften – ein Grund dafür, warum sie früh morgens schwer ansprechbar ist. Ansonsten eine hoffnungslose Optimistin und für alles zu haben, was Spaß macht.