Eine:r in jeder Klasse

Seit 2007 touren die RosaLilaPantherinnen durch die Steiermark und mittlerweile durch Teile Kärntens, um Schüler:innen das Thema Queerness in all seinen Facetten näher zu bringen. Martin Gerdenitsch-Petzwinkler ist seit September 2021 für den Schulworkshop „Liebe ist…“ verantwortlich. Ein Gespräch über Respekt, Wertekonflikte und wie mit der Verwendung von Schwul als Schimpfwort umgegangen wird.

Warum macht ihr diese Workshops überhaupt?

Martin: Es gibt zwei wichtige Ziele in diesem Workshop. Das eine ist es, Jugendlichen Sachwissen rund um LGTBIQ Themen zu vermitteln. Das zweite wichtige Ziel ist es, alle Jugendlichen abzuholen, aber vor allem queeren Jugendlichen unsere Angebote zu vermitteln und ihnen zu zeigen, dass jemand ein offenes Ohr für sie hat.

Es gibt immer wieder Schüler:innen, die in unserem Workshop voll aufblühen. Es ist so wichtig für mich, diesen Jugendlichen diese Möglichkeit zu geben und ihnen zu zeigen, dass es Menschen gibt, die sich um sie kümmern. Es ist ja leider noch immer so, dass die Suizidrate von queeren Jugendlichen höher ist, als jene von heterosexuellen. Und ich denke, dass wir da auch ein Stückchen dagegen wirken.

Haben Eltern Sorge, dass wenn ihre Kinder mit queeren Themen konfrontiert werden, sie queer werden?

Es gibt mehrere Gründe, warum sie diese Angst nicht zu haben brauchen. Erstens, ist es nichts Schlimmes, queer zu sein. Zweitens, gibt es keinen Grund anzunehmen, dass Kinder dann eher queer werden. Auch Kinder von Regenbogenfamilien sind nicht eher queer als andere. Von den Eltern unmittelbar kenne ich dieses Feedback tatsächlich nicht. 

Was ich aber schon erlebt habe, ist dass in ländlicheren Gebieten die Direktor:innen von Lehrer:innen Gegenwind erfahren. Die Direktor:innen würden gerne Workshops bei uns buchen, aber die Lehrpersonen meinen, wir bringen die Jugendlichen dazu, queer zu werden und überfordern die Kinder mit diesen Themen. In gewisser Weise kann ich zweiteres nachvollziehen. Die Jugendlichen sind teilweise überfordert mit den Informationen, die sie primär aus den sozialen Medien bekommen. Wir helfen aber dabei, diese einzuordnen. Es geht uns nicht darum zu sagen, es gibt so und so viele Geschlechtsidentitäten und so heißen sie, sondern wir erklären, was eine Geschlechtsidentität überhaupt ist und wie sie sich von sexueller Orientierung abgrenzt. 

Sind die Schüler:innen offen für den Workshop oder sind sie doch zurückhaltender?

Ganz unterschiedlich. Das hängt stark von der Schule und der Klasse ab. Aber auch davon, ob wir im ländlichen oder städtischen Raum sind. Mittelschulen sind auch herausfordernder für uns als zum Beispiel ein Gymnasium. Das hat sicher mit sozialen Dimensionen und den Glaubenssätzen, die von zu Hause mitgenommen werden, zu tun.

Ich hatte erst gestern ein Vernetzungstreffen mit Schulsozialarbeiter:innen aus Graz Umgebung und da ist auch dieser Wertekonflikt der Schülerinnen und Schüler aufgekommen. Zum Teil können sie sich an ihre jeweilige Umgebung gut anpassen, andere tun sich dabei total schwer. Sie stehen oft in einem Spannungsfeld zwischen dem, was ihnen, zum Teil religiös, aber auch traditionell von zu Hause vorgegeben wird und dem, was sie in ihrer Umwelt erleben.

Wir hatten auch schon die Situation, dass Schüler:innen gefragt haben, ob sie im Workshop sitzen müssen. Da ist es auch ganz wichtig, sensibel zu sein. Für manche ist es einfach nicht vereinbar, so etwas überhaupt zu hören. 

Ich habe den Workshop selber vor etwa sieben Jahren in meiner Mittelschule gehabt und ein Junge hat danach gesagt „Ich wollte gar nicht drinnen bleiben, und finde, alle Schwule sollten sterben.“ Gibt es öfter solche extremen Reaktionen? 

Ein wesentlicher Teil unseres Workshops ist die Black Box, wo Schüler:innen anonym Fragen stellen können. Da kommen dann manchmal auch Statements zurück. „Ihr Schwule seid alle Hurensöhne“ – das war das Extremste, was ich bis jetzt mitbekommen habe. Öfters kommt ganz klassisch „Ich hasse Schwule“, auch manchmal mit dem Zusatz „Ist das okay?“.

Bei der Aufklärung beginnen wir dann damit, dass wir sagen, dass Hass ein sehr starkes Wort ist. Ich bin der Meinung, dass Hass zwar menschlich ist, es unsere Gesellschaft aber nicht weiterbringt. Auch die Frage „Ich bin homophob, ist das okay?“ wird in die Black Box geworfen. Da setzen wir beim Begriff Homophobie an – das Wort an sich bedeutet ja, dass man Angst vor Homosexualität hat. Homophobie ist ein Gefühl und Gefühle muss man akzeptieren. Wir versuchen, mit ihnen darüber zu reden, herauszufinden, wo das Gefühl herkommt aber oft kann man ihnen diese Angst nicht nehmen. Gefühle zu haben ist okay, es ist aber nicht in Ordnung, wenn sie aufgrund ihres Gefühls anderen gegenüber aggressiv auftreten.

Unsere gesellschaftlichen und auch rechtlichen Grenzen müssen eingehalten werden. Und das Statement, dass wir alle Hurensöhne seien, ist eine klare Beleidigung, eine verbale Aggression. 

Wie geht ihr mit solchen Reaktionen um? 

In Klassen, in denen solche Tendenzen vorhanden sind, bauen wir den Workshop rund um das Thema Respekt auf; von Toleranz und Akzeptanz sind wir weit entfernt. 

Es ist trotzdem wichtig, die Meinung der Schüler:innen so stehen lassen zu können, da Meinungsfreiheit in unserer Gesellschaft einen sehr hohen Wert hat. Und es ist auch wichtig, dass sie offen über ihre Gefühle sprechen und dass sie einmal in Realität Menschen begegnen, die offen queer sind. Sehr viele Jugendliche in diesen Klassen kennen, wissentlich, niemanden, der schwul, lesbisch, trans, was auch immer ist. 

Gibt es auch Schüler:innen, die in ihrer Klasse geoutet sind? 

Es ist oft so, dass wir von den Schulsozialarbeiter:innen geholt werden, weil sie wissen, dass es in der Klasse jemanden gibt, der queere Tendenzen hat. Oft trauen sich diese Jugendlichen aber nicht, sich zu outen, weil die Klasse kein safe space ist. Da ist es dann wichtig zu zeigen, dass wir queer sind und dass außerhalb der homophoben Bubble der Schule ein gutes Leben auf sie wartet.

Im Workshop geht ihr ja auch auf die Verwendung von Schwul als Schimpfwort ein. Wie geht ihr damit um?

Erstmal zeigen wir ihnen die Definition für Schwul aus dem Duden. Da steht mitunter drinnen, dass es in der Jugendsprache auch als etwas Negatives verwendet wird. Daneben stehen die sachlichen Definitionen von „Mann liebt Mann“ oder „homosexuell veranlagt“. Wir fragen, ob jemand das Wort als Schimpfwort verwendet. Manche sagen uns dann, dass sie das Wort ja gar nicht als Beleidigung meinen.

Ich versuche sie dann zum Nachdenken zu bringen: Wie geht es einem Menschen, der gerade in seinem inneren Coming Out ist, oder jemanden, der aufgrund seiner sexuellen Orientierung mit seinem Umfeld Probleme hat, wenn er die ganze Zeit das Wort Schwul als etwas Negatives hört? Die Schüler:innen beginnen da wirklich zu reflektieren und sind im ersten Moment richtig baff. Wie nachhaltig die Veränderung ihrer Sprache ist, weiß ich nicht, aber sie denken zumindest darüber nach.

Ein wichtiger Bestandteil eures Workshops ist die Blackbox, wo anonym Fragen gestellt werden können. Was sind die meistgestellten Fragen? 

Es geht ganz oft um unsere eigenen Erfahrungen; was haben wir erlebt, wurden wir gemobbt, erfahren wir in unserem Alltag Diskriminierung. Ganz häufig kommen Fragen zu Sexualpraktiken, vor allem dazu, wie gleichgeschlechtliche Paare Sex haben. Für uns ist es ganz wichtig alle Fragen möglichst sachlich und realitätsnah zu beantworten. Wir erklären ihnen, dass Pornos nicht Realität sind, dass mehr Vorbereitung dazugehört. Und wenn das Wort Enddarmreinigung fällt, sitzen alle mit offenem Mund da. 

Was sind generell kuriose Situationen, die während des Workshops auftreten?

Erst vor kurzem hatten wir eine lustige Situation, während des Hetero-Homo-Spiels, wo wir Bilder von verschiedenen Personen zeigen und die Jugendlichen raten müssen, ob die Person heterosexuell oder queer ist. Dabei geht es eben darum zu zeigen, dass man vom Aussehen einer Person nicht erkennen kann, ob eine Person queer ist oder nicht. 

Eine der Personen ist Freddie Mercury. Da hat dann jemand voller Überzeugung gesagt, dass Freddie „fix straight“ sei, weil er ausschaue wie der Vater des Schülers. Da muss man dann schon schmunzeln. Aber es ist auch ein super Ansatz, um zu erklären, wie Stereotype entstehen. Mit solchen skurrilen Situationen kann man eigentlich gut arbeiten. 

In manchen Klassen haben wir ganz viel zu lachen. Und es ist ja auch wichtig, dass eine gute Stimmung herrscht und dass sie merken, dass es cool ist mit uns zu arbeiten, weil wir auch nur Menschen sind. 

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