Wie sieht das Leben einer Transgender-Person aus, die mitten im Prozess der Transition steht? Diese Frage kann uns Anna Hahn beantworten: Die 61-jährige Schriftstellerin befindet sich gerade auf einem sehr langen, aber vor allem befreienden Weg. Der Wienerin wurde bei der Geburt das männliche Geschlecht zugewiesen, allerdings merkte Anna im Laufe der Zeit bald, dass ihre Geschlechtsidentität die einer Frau ist.
Heute ist ihr Kalender voll mit Terminen, denn sie steht kurz vor dem Beginn der Hormontherapie und der geschlechtsangleichenden Operation. Wir haben uns mit Anna getroffen und mit ihr über ihren Weg zu ihrem wahren Ich gesprochen.
Liebe Anna – vielen Dank für deine Zeit. Du bist momentan mitten im Prozess der Transition. Ab wann hast du dich mit dem Geschlecht, das dir bei der Geburt zugewiesen wurde, unwohl gefühlt?
Anna Hahn: Bereits ab dem 13. Lebensjahr, als meine Eltern mir meine damals von ihnen geduldete Mädchenkleidung wegnahmen. Vor einer unerwarteten Turnstunde im Gymnasium – damals noch eine Knabenschule – entdeckten die Mitschüler meine Damenunterwäsche an mir und machten mich fix und fertig. Von da an zog ich mich heimlich als Frau an und kaufte ebenso heimlich bei Versandhäusern diese Damenbekleidung wieder nach. Erst ab 25 Jahren konnte ich in meiner eigenen Wohnung mein Frau-Sein voll ausleben, allerdings immer nur bis zur Wohnungstür.
Wie würdest du deine Entwicklung von diesem Zeitpunkt an bis heute beschreiben?
Heftig! Als ich im Jahr 2014 voller Verzweiflung aufgrund des regelmäßigen, nächtlichen Einnässens eine Urologin aufsuchte und keine organischen Ursachen festgestellt werden konnten, versank ich in Depressionen. Auch das Aufsuchen der ersten Psychotherapeutin half damals nicht weiter, da diese meinte, sie wäre in meinem Fall mit ihrem Latein am Ende und wisse nicht weiter. Via Google fand ich mit Mag. Gabriela Postl meine neue Psychotherapeutin, die sich meiner Angelegenheiten annahm und mir die Frage meines Lebens stellte: “Wollen Sie eine Frau sein?“, und meine Antwort war „Ja!“.
Mit jeder Sitzung erreichte ich immer höhere Flugbahnen und befand mich fortan am Weg der Transition. Exakt mit Beginn dieses Transgenderweges verlor ich auch keinen einzigen Tropfen Urin mehr, denn meine Psyche wehrte sich mit dem Einnässen gegen das lange Verkleiden als Mann und gegen die Unterdrückung des Frau-Seins. So konnte ich alle Windelhosen wegwerfen, genauso wie ich später auch meine gesamte Männerkleidung weggeworfen hatte – ein Akt der Befreiung des Mann-Sein-Müssens.
Dieser Schritt erfordert unglaublich viel Kraft, Mut und auch Selbstvertrauen. Worin fandest du die Quellen, um die nötige Kraft dafür aufzubringen?
Eine der ergiebigsten Quellen waren und sind immer noch meine Visagistin und Stylistin im DM-Kosmetikstudio in Hietzing: Selina und Elvisa. Durch unzählige Gespräche halfen Sie mir, den nötigen Mut aufzubringen und mich zu schminken. Auch meine von Anfang an mich begleitende und stärkende Psychotherapeutin Mag. Postl schaffte es im Gegensatz zur früheren Psychotherapeutin, mich auf meinem Weg zu begleiten und mich zu stärken. Auch meine zukünftige Gynäkologin betrachte ich bereits als Begleitschiff, da sie mir während der Hormontherapie, sowie vor und nach den beiden Operationen in einem halben Jahr mit unglaublich viel Humor, Weisheit und Empathie zur Seite steht.
Was war oder ist im Prozess der Transition deine größte Herausforderung? Vor allem in Bezug auf medizinische oder rechtliche Hürden?
Im medizinischen Bereich gibt es für mich momentan zum Glück keine Herausforderungen mehr, da für mich die Frage der geschlechterangleichenden Operation bereits völlig klar mit „Ja“ beantwortet ist. Viel größere Herausforderungen gibt es im rechtlichen Bereich – das war in erster Linie die Suche nach drei Gutachter:innen, deren positiver Bescheid eine Bedingung für den Beginn der Hormontherapie und die beiden anstehenden Operationen sind.
Weiters stellen die vielen Anträge wie Namensänderungen und die Änderung der Geschlechtszugehörigkeit Hürden dar. Dieser Prozess muss bei allen Mitgliedschaften durchlaufen werden, angefangen beim Standesamt, über die Sozialversicherung bis hin zur Öffi-Jahreskarte.
Wie gingen Personen in deinem Umfeld damit um, als du ihnen deine wahre Geschlechtsidentität offenbart hast?
Von den über 50 informierten Verwandten, Freund:innen und Kolleg:innen reagierten bis auf vier Personen alle sehr verständnisvoll. Die vier anderen reagierten aggressiv, untergriffig, und beleidigend, woraufhin ich diese mit Güte und Liebe „bestrafte“. Dies machte sie zwar noch wütender, allerdings war das nicht mein Problem – schließlich gehe ich unbeirrt meinen eigenen Weg.
Gibt es für dich heute noch Stolpersteine im alltäglichen Leben? Worin siehst du Verbesserungspotential?
Ja, und zwar die Kleinkariertheit oder Unfähigkeit einiger Personen, die sich unter solchen Stolpersteinen verbergen. Vor allem in Form einer zunächst kundgetanen, scheinbaren Akzeptanz, die später wie eine Seifenblase zerplatzt und in sich zusammenfällt. So wurde mir mitgeteilt, ob ich mir das denn gut überlegt habe, und ich wurde unsicher und stolperte fast über deren Sorgen. Heute ist mir bewusst, dass diese Unsicherheiten nicht von mir kamen, sondern mir von meiner Umgebung vermittelt wurden.
Was würdest du Personen raten, die gerade in einer ähnlichen Situation sind?
Niemals eine andere Person zu fragen, was sie darüber denkt! Als Transgender-Person braucht man von niemandem eine Erlaubnis, und man hat das Recht den eigenen Weg zu gehen. Auch wenn es schwerfällt, sollte die eigene Peergroup, das eigene soziale Umfeld, immer erst nach Beginn dieses Transgender-Weges davon informiert werden. Dabei sollte auch verständlich gemacht werden, dass dies eine Mitteilung für den Freundeskreis sei, und keine Bitte um deren Erlaubnis.
Eine letzte Frage: Was wünscht du dir von der Gesellschaft für die Zukunft?
Als Schriftstellerin kann ich das nicht mit einem Satz beantworten. Ich beantworte diese Frage mit einer kleinen Betrachtung aus meinem übernächsten Buch, das meine Transgender-Weg als Thema haben wird:
Wie der Landgraf, der Schimmelreiter in Theodor Storms „Schimmelreiter“,
rufe ich der Gesellschaft zu: „Lasst mich in meinem Sattel gelten“!
Lasst mich in meinem Satteln gelten,
als das was ich immer schon war, als eine Frau!
Ich werde nicht erst zur Frau, sondern ich lasse endlich zu,
ich lasse zu, dass ich das nun vor aller Augen zeigen darf:
Ich bin das, was ich immer schon war, nur nicht sein durfte:
Anna! Anna, eine eigenständige glückliche Frau!
Lasst mich in meinem Sattel gelten!
Als eine Frau, Ich bin eine Frau, weil ich es sein darf!
Shallow, Seichtes Wasser,
wie der Titel des berühmten Liedes der Lady Gagas, wo sie singt:
„Seht wie ich eintauche, aber ich berühre nicht den Grund!“
Ich sage meiner Umwelt, der Gesellschaft, aus dem Sattel meines Lebens steigend, im Wasser des Pazifiks meines Lebens stehend:
Die Gischt der Brandung des Lebens peitscht mir ins Gesicht,
ich wische sie weg.
Ich stehe in der Brandung meines Lebens
Ich schreie in das Tosen der Brandung: SEHT HER, ICH LEBE!
Ich lebe, ICH ANNA!
Ich verliere eine Träne,
Ich wische sie ab und vereine sie mit dem Meer.
Wie eine Träne im Ozean,
SO bin ich aber NICHT:
Denn die Träne im Ozean reiht sich in die zig Millionen anderer Tropfen ein,
ICH ABER:
Ich, Anna, ich bin ein stolzes Schiff, das NICHT IM Wasser,
der Strömung nach sich treiben lässt,
treiben gleich einem Blatt im Meer,
Der Strömung der Meinung der anderen sich treiben lässt.
NEIN, denn:
ICH ANNA, ich bin ein stolzes Schiff, das AUF DEM WASSER ihre Fahrt aufnimmt!
Auf der Fahrt vom Mann zur Frau!
Das Schiff, dessen Bug mit stählerner Disziplin und Willenskraft,
im Tosen der Bugwellen, das Meer zerschneidet
Zerschneidet mit dem Bug, vorangetrieben von den stampfenden,
dröhnenden Zylinder meines Schiffes!
Steuermann, nimm neuen Kurs!
Kurs auf: „Frau – Sein“
Aye Aye, …yes Ma‘am;
JA zu Befehl!
Neuer Kurs liegt an: KURS: „ANNA“,
ANNA: eine Frau nicht aus des Erdenstaub geschaffen,
sondern vielmehr aus Sternestaub gewoben!
DAS sage ich der heutigen Gesellschaft:
Gebt mir freie Fahrt, für mein Lebensschiff, auf der Fahrt vom Mann zur Frau, denn ich werde das für ALLE nun sein, was ich in den Tiefen meines Pazifiks immer war: ANNA, eine Frau.
Titelbild: Anna Hahn | © privat
studiert an der Universität Wien Publizistik- und Kommunikationswissenschaften. Der gebürtige Steirer ist 2020 nach Wien gezogen und lebt seither in der Bundeshauptstadt. Neben dem Studium verdient er sich das nötige Kleingeld als Grafiker und über journalistische Nebenjobs. Trotz seiner Leidenschaft für Alltagsstrukturen liebt er es, seine geplanten sportlichen Freizeitaktivitäten kurzerhand zu verschieben – um stattdessen Raum und Zeit für ein gemeinsames Gläschen Wein im Freundeskreis zu schaffen. Wohl auch deshalb kann man von ihm stets einen scherzhaften Spruch erwarten.