Que(e)r in die Ferne

5:45 in der Früh am Flughafen, müde und genervt, bereits die Jacke ausgezogen, Laptop, Handy und Flüssigkeiten bereit. Systematisch wird alles auf drei Trays aufgeteilt. Schmuck, Gürtel, etc habe ich gleich gar nicht an, die Schuhe können schnell an und ausgezogen werden. Inzwischen schaffe ich es in Rekordzeit durch die Security. Ich hatte ja auch genug Übung, denn ich bin in den letzten sechs Monaten viermal nach Kopenhagen und wieder zurück geflogen. 

Ein bisschen flirten und schreiben

Warum? Weil der queere Datingpool in Graz nach 2 Tagen Swipen erschöpft ist und mir im Urlaub langweilig war. Eigentlich wollte ich nur schauen ob es in meiner Umgebung noch andere queere Leute gab und “ein bisschen schreiben und flirten schadet ja nie”. Blöd nur, dass aus schreiben und flirten, schnell mehr wurde. Telefonate die mindestens eine, meistens aber so 3 bis 4 Stunden aufwärts dauerten. Was mich ja ein bisschen an queeren Sex erinnert, aber darum geht es hier ja nicht. Nach den Telefonaten kamen die Videocalls, und als selbst das nicht genug war, endlich das erste reale Date und eine Beziehung. Eine Beziehung mit gut 1000 km Distanz. 

Das queere an Fernbeziehungen

Ich glaube, hier bin ich aber bei weitem nicht alleine. Queeres Dating gestaltet sich oft um einiges schwerer und vor allem umständlicher als heterosexuelles Dating. Zum einen gibt es nur so viele potentielle Partner:innen in der unmittelbaren Umgebung. Was sehr schnell auch etwas heikel werden kann, da sich fast jede:r kennt, auf die eine oder andere Weise. Zum anderen möchte man dann vielleicht doch keine Beziehung führen nur um eine Beziehung zu führen. Auch queere Personen sehnen sich nach wahrer Liebe und die Chance seine:n Seelenverwandte:n zu finden. Also bleibt einem nichts anderes übrig, als den Radius zu erweitern. 

Fernbeziehungs-Veteran:innen

Genug queere Personen in meinem Umfeld waren schon einmal in einer Fernbeziehung. Viele davon hatten auch schon mehr als nur eine, je nachdem was als Fernbeziehung empfunden wird. Diese Frage ist auch in ein paar der Interviews aufgekommen. Was gilt eigentlich als “Fern”-Beziehung. Für uns galt jede Beziehung, in der man sich nicht spontan sehen kann und eine Reise auf sich nehmen muss, die Planung erfordert, als Fernbeziehung. 

Doch wie genau sieht so eine (queere) Fernbeziehung jetzt eigentlich aus? Um das heraus zu finden, und um mir vielleicht auch ein paar Tipps für meine eigene zu sammeln, habe ich mit ein paar Fernbeziehungs-Veteran:innen über ihre Erfahrungen gesprochen. Hier einmal kurz die Eckdaten.

Illustration | © Hannah Schneider

Zwischen Österreich und Deutschland

Markus Popp, ein österreichischer Sänger und Model, hat seine zweite Fernbeziehung über eine Fotoshooting kennen gelernt. “Er hat mich, aus Interesse halber, gefragt was ich heute noch so mache und ich hab dann darauf gesagt: mit dir Essen gehen.” Da der deutsche Fotograf aber nur für ein Praktikum in Österreich war, hatte das “Gspusi”, so zu sagen, von Anfang an schon ein Ablaufdatum. Es war dann aber recht schnell klar, dass es nach den zwei Monaten nicht enden würde. Nachdem der Fotograf wieder nach Deutschland zurückgekehrt war, führten sie die Beziehung für einige Monate aus der Entfernung weiter. 

Zwischen Österreich und Irland

Elliot und Anna-Maria haben sich, so zu sagen “zu Hause” kennen gelernt. Es war eigentlich schon von Anfang an klar, dass Anna-Maria bald ins Ausland gehen würde. Doch dann kam alles etwas anders. Lockdowns und Onlinekurse hieß, dass Anna-Maria doch länger in Österreich bleiben würde, zumindest für ein paar Monate. Lange genug um eine Beziehung zu beginnen. Als es dann Zeit war für Anna-Maria ihr Studium in Irland fortzusetzen, entschieden sie sich die Beziehung aus der Ferne weiter zu führen. 

Zwischen Österreich und Schweden

Die einzige queere Fernbeziehung die ich finden konnte, die noch existiert, ist meine eigene. Wir haben uns im Sommer in Schweden kennengelernt, eigentlich mehr aus Zufall als Absicht. Keiner von uns erhoffte sich, oder dachte überhaupt, an eine Beziehung. Es fing mit einem blöden Anmachspruch an. Wir schrieben Anfangs nur sporadisch, ohne Zwang. Aus Nachrichten wurden Anrufe, Video-calls und nach 6 Wochen virtuellem Kontakt endlich das erste Date. Bis dato haben wir mehr als zwei Drittel unserer Beziehung virtuell verbracht, Tendenz steigend. 

Das Pro und Kontra einer Fernbeziehung

Auch wenn die Fernbeziehungen meiner Interviewpartner:innen leider in die Brüche gegangen sind, hatten wir doch alle recht ähnliche Erfahrungen. Alle haben wir viel aus unseren Beziehungen gelernt, über unsere Partner:innen, aber auch über uns selbst. Was auch klar wurde ist, dass Fernbeziehungen vor allem eines sind, eine Investition. Eine Investition von Zeit, Kraft und Geld. Eine Investition die man doch genauer abwägen sollte, bevor man sie tätigt.

Was spricht dagegen?

Auf den ersten Blick mag einem eine Beziehung aus der Ferne als schlechtere Alternative erscheinen. Sie scheint in allen Punkten einer Nah-beziehung, wenn man sie so nennen mag, unterlegen. Jegliche körperliche Nähe fällt weg. Man sieht sich vielleicht auf einem Bildschirm, aber doch ist die andere Person nicht präsent. Der Geruch, die Berührung, die Intimität fehlen.  Miteinander in Kontakt zu bleiben braucht entweder Internet oder viel Geduld. Man verbringt einen großen Teil der gemeinsamen Zeit alleine. Auch können Eifersucht und Unsicherheit schnell Überhand nehmen, wenn die andere Person ihr Leben alleine zu leben scheint. 

Was spricht dafür?

Doch Fernbeziehungen haben nicht nur negative Seiten. Die körperliche Nähe kann leider nur schwer, bis gar nicht, ersetzt werden. Doch nur reden zu können führt oft zu tieferen und aufschlussreicheren Gesprächen. Man lernt einander auf einer ganz anderen Ebene kennen und lieben. Fast als verliebe man sich in den Charakter, die Überzeugungen und Träume, einer Person mehr als nur in das Aussehen oder die körperliche Anziehung. Durch den viel größeren Aufwand wird oft sehr viel früher klar ob es eine Beziehung “wert” ist. So viel Zeit, Energie und Geld möchten nur wenige in etwas investieren, dass keine Zukunft hat. Auch zeigt sich schneller ob Eifersucht und Unsicherheit begründet sind. Vertrauen wird entweder aufgebaut oder gebrochen.

Wie eine meiner Interviewpartner:innen es so passend formulierte: “​​Die Distanz war glaube ich sogar hilfreich um zu offenbaren, wie gut man wirklich zusammenpasst.” Ferne ist die Feuerprobe für eine Beziehung. 

Der Boden der Realität

Trotz der, teilweise überraschenden, Vorteile einer Fernbeziehung, machen es sie doch nicht leichter. Immer mehr muss ich lernen wie hart eine Fernbeziehung wirklich ist. Vor allem nach der Honeymoon Phase erweist sich die fehlende Nähe als besonders schmerzhaft. Anfangs ist man noch in so einer Art love bubble, man möchte jede freie Minute miteinander verbringen, über alles stundenlang reden. Alles ist toll und perfekt, und dann setzt die Realität ein. Arbeit, Uni, Stress und Pandemie sind alleine schon schlimm genug. Doch diese harte Zeit getrennt verbringen zu müssen fordert immense Kraft, und die Beziehung selbst. 

Sich selbst durch solche schweren Zeiten zu kämpfen ist schlimm genug. Doch zusehen zu müssen, wie eine geliebte Person unter all dem leidet, bricht einem fast das Herz. Die Erschöpfung, Verzweiflung und Tränen zu sehen ohne dagegen etwas tun zu können. Das ist, meiner Meinung nach einer der schwersten Teile der Fernbeziehung. Die absolute Hilflosigkeit die man fühlt. 

Illustration | © Hannah Schneider

Ist es das wert?

Ich muss ehrlich sagen, meine Idee eine Reportage über Fernbeziehungen zu schreiben, während ich selbst in einer bin, war vielleicht nicht meine beste. Nicht nur weil ich bis heute noch keine erfolgreiche Fernbeziehung in meinem Umfeld gefunden habe. Es ist auch ernüchternd sich der “Kosten”, ob emotional, mental, körperlich, oder finanziell, noch bewusster zu werden. Aber vor allem ist es bitter, sich der Frage stellen zu müssen, ob es das alles wirklich wert ist. Eine Frage die, da bin ich mir sicher, noch einige Male aufkommen wird. Doch zur Zeit, und hoffentlich noch etwas länger, kann ich sie mit “Ja” beantworten. Auch wenn es unvorstellbar hart ist und der Herzschmerz einen fast zerreißt, die Person zu finden bei der man sich zu Hause fühlt, bei der man einer selbst sein kann, ohne sich verbiegen, verstecken oder zensieren zu müssen. Das ist es wert. Das ist die 10 Stunden Reisen, die Wochen alleine und die unzähligen Tränen wert. 

Fernbeziehungen sind

Furcht und Ferne. Sehnsucht und Nähe. Eine einzigartige Bindung die hunderte Kilometer spannt, an einem zerrt und oft zu reißen droht. Eine Person zu lieben und doch ohne sie zu leben. Fernbeziehungen sind wirklich ein seltsames Ding. Sie offenbaren, fordern und können eine Beziehung bilden die nur schwer aus der Nähe erreicht werden kann, ob gut oder schlecht. Fernbeziehungen sind Vorfreude, Countdowns und Abschiedstränen. Sie sind leider auch fast unvermeidliches in unserer Community. Queere Fernbeziehungen sind allgegenwärtig. Denn wie hoch ist die Chance seine:n soulmate, oder überhaupt eine:n Partner:in im Umkreis von 50km zu finden? Vor allem bei einem Datingpool der eher einer Pfütze gleicht. Aber vielleicht, vielleicht findet man ja jemand besonderes in einer anderen Pfütze, man muss den Sprung nur wagen. Auch wenn die Gefahr besteht sich dabei so richtig weh zu tun.

Titelbild: Illustration von Hannah Schneider