Eigentlich könnte man sagen, Lisa Rücker ist schon ihr ganzes Leben politisch – und vor allem auch feministisch – aktiv. Ihr Weg begann in einer autonomen Grazer Frauenbewegung, führte sie zu den Grünen, für die sie Vizebürgermeisterin von Graz war und letztendlich in die Selbstständigkeit als Coach, Trainerin und politische Erwachsenenbildnerin. Dabei fokussiert sie sich unter anderem auf Gender, Soziale Arbeit und Politik. Auch ist sie beim Womens Action Forum und dem Bündnis 0803* aktiv.
Wir treffen uns warm eingepackt an einem kühlen, aber sonnigen Tag am Grazer Schlossberg und sprechen über die Wichtigkeit von Feminismus in der heutigen Zeit und ihren persönlichen Zugang dazu.
Was bedeutet für dich Feminismus?
Lisa Rücker: Selber denken, Unabhängigkeit und Kämpfen für eine gerechte Welt – so würde ich das beschreiben, ja.
Du bist im Womens Action Forum und im Bündnis 0803* aktiv – welche Ziele verfolgst du in deinen Rollen dort?
Ich sehe mich persönlich als Netzwerkknoten, um Aktivistinnen zusammenzubringen, ihnen die notwendigen Ressourcen und Rahmenbedingungen herzustellen, und als jemand der animiert und einlädt. Als meine Rolle sehe ich also diese Beteiligung und Aktivierung.
Ich will dafür sorgen, dass sich Aktivist:innen oder feministisch denkende Menschen, die zum ersten Mal aktivistisch tätig sein wollen, aufgerufen fühlen, etwas zu tun.
Was sind das Bündnis 0803* und das Womens Action Forum?
Seit ich in Graz bin, gibt es zum Frauentag immer Aktivitäten – besonders getragen von Aktivist:innen aus Frauen*initiativen, Frauen*projekten und aus dieser ganz klassischen Frauen*szene, die um diese herum entstanden ist. Anfang der 2000er Jahre hat sich das jedoch leider etwas leergelaufen – damals war es für junge Frauen gar uncool, sich für Feminismus einzusetzen. Zurzeit entdeckt die junge Generation den Feminismus aber wieder. Jetzt gibt es also wieder Druck, auch in Richtung größerer Veranstaltungen, Demos und anderen Aktivitäten.
Das Grazer Demobündnis, bestehend aus vor allem jungen Frauen* hat sich gegründet. Gleichzeitig hat sich das Women*s Action Forum Graz entwickelt, um um unter anderem auf sexualisierte Gewalt aufmerksam zu machen und dagegen einzutreten. Wir Frauen* in Graz können uns jetzt wieder breiter aufstellen. Aus diesem Grund wurde das Bündnis 0803* gegründet. Es ist ein loses Bündnis, das heißt, ohne fixe Beteiligungen – jede:r kann sich jedes Jahr aufs Neue entscheiden, dabei zu sein oder nicht. Es ist eine sehr bunte, überparteiliche und überkonfessionelle Initiative, die das Ziel hat, im internationalen Frauen*März – ja, wir nehmen uns ein ganzes Monat – breit und koordiniert, gemeinsam öffentlich deutliche Zeichen für eine feministischere Politik zu setzen.
Was ist im Frauen*März 2022 geplant?
Jede:r, der:die einen feministischen Beitrag leisten möchte, kann sich prinzipiell anmelden. In einigen Regionen in der Steiermark wird es ein Frauen*bankerl geben – eine Möglichkeit, im öffentlichen Raum andere Frauen* einzuladen, um miteinander ins Gespräch zu kommen. Fix ist auch wieder eine Aktion der CatCalls in Graz am Hauptplatz am Nachmittag des 5. März. Dabei geht es um das Ankreiden sexualisierter Gewalt im öffentlichen Raum. Natürlich gibt es wieder die große Demo am 8. März ab 17 Uhr. An diesem Tag findet im Schauspielhaus Graz auch eine Gender-Lesung statt, ebenso gibt es ein internationales Frauencafé im Café Palaver… wir haben viel vor!
Uns ist auf jeden Fall wichtig, dass wir unterschiedliche Bedürfnisse ansprechen – von einer theoretischen feministischen Debatte bis hin zu ganz konkreten Aktivitäten wie dem Frauen*bankerl soll alles dabei sein.
Wie wichtig ist es im Jahr 2022, als Frau auf die Straße zu gehen und Forderungen zu stellen?
Wenn man sich umschaut, dann braucht man über diese Frage nicht lange nachdenken. So wie sich das Patriarchat zurzeit zum Beispiel in Form von Femiziden gebärdet…
Diese Verunsicherung, die durch Frauenbewegungen – zum Glück – in die Gesellschaft getreten ist, führt dazu, dass Frauen sich zurzeit ziemlich ausgesetzt fühlen müssen. Femizide sind ein Zeichen der Aufbäumung einer sehr aggressiven patriarchalen Denkweise. Und auch der Ausdruck von Machtverhältnissen, die nicht in Ordnung sind, Fragen von Armut, Einkommensverhältnissen, Teilzeitarbeit, Zugang zu Teilhabe, Beteiligung, Positionen… da sind wir noch immer am notwendigen Kämpfen. Auch wenn schon viel erreicht worden ist! Dinge, die erreicht worden sind, bleiben meistens nicht von selbst, man muss sehr auf sie aufpassen und weiterhin dafür eintreten – sonst holen sich die, die es gewohnt sind, Macht auszuüben, diese auch wieder zurück.
Was wird gefordert und was forderst du?
Die zentralste Forderung – und das sieht man jetzt auch aufgrund von Covid – ist eine andere Verteilung von Arbeit, der bezahlten und der unbezahlten. Die Kernthematik betrifft zwar die ganze Gesellschaft, aber ausgetragen wird sie nur auf dem Rücken von vielen, vielen Frauen, darunter viele Migrantinnen. Und das geht nicht mehr. Deshalb haben wir uns auf den Begriff der Solidarität in unserem Motto für den Frauen*März verständigt: Solidarität – auf geht´s!
Das ist für mich schon eine der zentralsten Forderungen und viel hängt damit zusammen: Altersarmut, die Abhängigkeiten von Frauen von ihren Partnern bzw. von klassischen Familienmodellen… das würde sich alles verändern, wenn eigenständiges Leben möglich wäre – für alle, auch für die, die in unserer Gesellschaft die meiste Sorgearbeit übernehmen.
Wie sieht deine ideale feministische Gesellschaft aus?
Eine feministische Gesellschaft ist für mich vor allem eine gleichwertige Gesellschaft, in der sich alle auf Augenhöhe begegnen können; eine vielfältige Gesellschaft, in der Verschiedenes möglich ist, keine engen Normen Rollen vorgeben. Für mich ist eine feministische Gesellschaft zudem eine solidarische, die auch für die nächsten Generationen Verantwortung übernimmt. So wie wir jetzt auf Kosten der Zukunft, auf Kosten von Ressourcen und auf Kosten von unseren Enkelkindern leben – das wird sich so nicht ausgehen. Deswegen ist auch das Thema Wirtschaftswachstum- und wie weit es auf Kosten anderer möglich sein soll – ein großes feministisches Thema.
Hast du als queere Frau bereits Diskriminerung erfahren? Wenn ja, welche Ratschläge hast du für andere?
Ich habe eigentlich sehr wenig Diskriminierung erfahren. Nur – (lacht) – ausschließlich habe ich Diskriminierung erfahren, als ich verkehrspolitisch zuständig war, als manche sich auf den Schlips getreten fühlten. Die sind dann plötzlich mit einer sexualisierten Aggression, die als homoaggressiv zu bezeichnen ist, auf mich zugegangen, indem sie Briefe geschrieben haben – sehr gemeine Dinge.
Und einmal hat eine Lehrerin zu meiner Tochter gesagt, sie hätte keinen Umgang mit männlichen Autoritäten. Da sehe ich schon, dass sie damit wohl andeuten wollte, ein Frauenhaushalt wäre nicht mit einem gemischten gleichzusetzen. Aber es ist im Verhältnis total wenig und deshalb rate ich allen: Lebt offen, wie ihr lebt, wie ihr liebt, es hilft auch immer der Umgebung.
Jedes Outing – und ich habe einige Outings in meinem Umfeld erlebt – hat ermutigt. Schwierig ist das natürlich vor allem in diesen gesellschaftlichen Zuspitzungen. Ich glaube, dass es ganz wichtig ist, in einer “normal” gestrickten Gesellschaft, die nicht aggressiv-fundamentalistisch unterwegs ist, gut verankert zu sein, und dass das besser schützt, als wenn man versucht, sich in Nischen zurückzuziehen. Das würde ich ganz wichtig finden, gerade in so einer Zeit.
Das Bündnis 0803 ist ein freier Zusammenschluss aus Organisationen, Initiativen und Einzelpersonen, die sich für Frauen*rechte einsetzen. Rund um den Frauen*März 2022 sind viele Aktionen geplant – welche genau das sind, könnt ihr unter www.0803.at nachlesen!
Titelbild: Lisa Rücker | © Vivienne Chabrol
studiert im ersten Semester Sprachwissenschaften an der Universität Graz. Ob fiebrig vor sich hinschreibend im Park, in ein Buch vertieft in der Straßenbahn sitzend oder gedankenverloren durch die Stadt spazierend – egal, wie man sie antrifft, es kommt selten vor, dass einem dabei nicht auch der Geruch ihrer stets gefüllten Kaffee-Flasche entgegen weht. Wenn sie einmal nicht lernt oder Aufzeichnungen von Vorlesungen ansieht, geht sie auch gerne ihrer Leidenschaft für Musik nach – mal singend, mal wild und gut gelaunt durch die Wohnung tanzend.