Mental Queerness

Auch wenn in den letzten Jahren Mental Health zunehmend in den Fokus der Gesellschaft gerückt ist, scheint es nach wie vor für viele ein Tabu zu sein, offen darüber zu sprechen. Studien ergaben, dass besonders queere Personen aufgrund von erfahrenen Diskriminierungen und der Angst vor Ausgrenzung häufiger unter psychischen Krankheiten leiden als nicht-queere Personen.

Ich habe mit Mag. Gabriela Postl, Gesundheitspsychologin, Psychotherapeutin und Expertin für seelische Gesundheit, ein Gespräch über dieses Thema geführt.

Warum ist Mental Health für viele eine Tabuthema?

Gabriela Postl: Jede sechste Person in Österreich erleidet im Laufe ihres Lebens mindestens einmal eine psychische Erkrankung, indirekt betreffen sie sogar jede:n Einzelne:n durch nahestehende Personen. Über eigene seelische Erkrankungen wird jedoch nicht gesprochen, denn oft ist Diskriminierung in der Schule, am Arbeitsplatz, im Freundeskreis und sogar in der Familie die Folge.

Depressionen und Ängste stehen unter dem Einfluss starker gesellschaftlicher Stigmatisierung, und die Angst negativ abgestempelt zu werden und in weiterer Folge Nachteile zu erleiden, ist enorm. Das „Coming-out“ ist bei Depressionen und Ängsten eher die Ausnahme – obwohl die Gründe für Seelenstörungen so normal sind wie körperliche Beeinträchtigungen in Form von Schnupfen, Gastritis oder einem Beinbruch.

Warum sind queere Personen häufiger als nicht-queere betroffen?

Im Vergleich zur heterosexuellen Gesamtbevölkerung sind queere Personen fast dreimal häufiger von Depressionen und Burnout betroffen. Auch potenziell stressbedingte körperliche Krankheiten wie Herzerkrankungen, Migräne, Asthma und chronische Rückenschmerzen kommen weitaus häufiger vor als in anderen Bevölkerungsgruppen.

Ein Grund dafür sind Diskriminierungserfahrungen und durch Antizipation von Ablehnung und Anfeindung hervorgerufene ständige Wachsamkeit. Aufgrund der systemischen Ungleichbehandlung – sowohl im privaten als auch beruflichen Bereich – leiden queere Personen häufiger unter Schlaflosigkeit und depressiven Symptomen.

In welchen Formen treten psychische Probleme in Erscheinung?

Seelische Höhen und Tiefen kennt jede:r – die meisten Menschen kommen damit gut alleine zurecht oder tauschen sich mit Familie und Freunden aus, um so wieder zu einem inneren Gleichgewicht zu finden. Manchmal reicht das allerdings nicht aus und es bedarf professioneller Hilfe. Beispielsweise, wenn man dauerhaft ängstlich und niedergeschlagen ist oder an körperlichen Beschwerden leidet, für die sich keine organischen Ursachen finden lassen.

Bei Verdacht kann sich jede:r folgende Fragen selbst stellen: „Kann ich meinen Alltag nur noch mit Mühe verrichten?“, „Ist mein Schlaf gestört, schlafe ich zu wenig oder zu viel?“, „Fühle ich mich oft aggressiv, hasserfüllt, oder gereizt?“, „Geht das schon länger so?“ oder „Ist mir das alles egal?“. Wenn Intensität und Schwere mit der Zeit nicht abnehmen, ist professionelle Hilfe oft ratsam.

Wie kann man diesen scheinbar endlosen Kreisläufen entkommen?

Was und wie viel man aushält ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Es bringt nichts, mit der momentanen Seelenschwäche zu hadern oder sich mit denen zu messen, die scheinbar alles schaffen. Damit setzt man sich unter Druck und schwächt die eigenen psychischen Kräfte erst recht. 

Viele versuchen zunächst allein mit den Beschwerden klarzukommen, indem sie diese zunächst ignorieren oder mit Alkohol oder Drogen verdrängen. Solche Selbstbehandlungen von seelischen Belastungen verschlimmern aber in vielen Fällen die Grunderkrankung.

Zur nachhaltigen Behandlung psychischer Erkrankungen stehen Medikamente und psychotherapeutische Therapiemodelle zur Verfügung, mit denen viele psychische Erkrankungen nachhaltig positiv beeinflusst oder sogar überwunden werden können. Es gibt eine ganze Reihe psychotherapeutischer Ansätze, die helfen, verfestigte ungünstige oder selbstabwertende Gedankenmuster zu überwinden. 

Im Vergleich zur heterosexuellen Gesamtbevölkerung sind queere Personen fast dreimal häufiger von Depressionen und Burnout betroffen.

Gabriela Postl

Wie kann man betroffene Personen im eigenen Umfeld am besten unterstützen?

Wir sollen einfühlsam und verständnisvoll sein, gut zuhören und der betroffenen Person Zeit geben, ihre Probleme und ihre Sicht der Dinge zu erklären. Wir sollen ihr Zuversicht und Hoffnung vermitteln, loben bei Fortschritten oder bei dem Versuch, etwas zu verändern, selbst wenn es nicht sofort gelingt und ihnen dabei so viel Selbständigkeit wie möglich gewähren.

Dabei ist es wichtig, sie wissen zu lassen, dass wir für sie da sind, wenn sie Unterstützung brauchen. Gemeinsame positive Aktivitäten wie Freizeitaktivitäten und Ausflüge haben eine wundervolle Wirkung.

Auch Unterstützung bei der Suche nach geeigneten Beratungsstellen wie z.B. COURAGE Wien, das Rechtskomitee Lambda, Türkis Rosa Tippp – Trans*SchwulenQueer-Beratung oder die Wiener Antidiskriminierungsstelle für LGBTIQ-Angelegenheiten (WASt).

Titelbild: Symbolbild | © Joshua Fuller on unsplash.com