Ein Gastbeitrag von Toni Janosch Krause
Als ich gefragt wurde, ob ich eine Rezension zu einem Brettspiel machen kann, habe ich mich sehr gefreut. Brettspiele sind nicht nur eine Leidenschaft von mir, sondern auch ein spannendes und unterschätztes Medium. Der Begriff Brettspiel mag hierbei in die Irre führen, da er vermuten lässt, dass es sich nur um Spiele mit einem Spielbrett handelt.
Im Allgemeinen wird der Begriff aber verwendet, um eine Vielzahl an Gesellschaftsspielen zu bezeichnen, die man an einem Tisch spielt, so auch Kartenspiele. Es gäbe sogar Spiele mit ausdrücklich queerem Inhalt, doch ich möchte, ehrlich gesagt, keine Rezension über Spiele machen, die House Boy the Board Game, Rainbow Gayme, Top2Bottom oder Gay Monopoly heißen. Unabhängig davon, dass diese Spiele oft keine spielerischen Perlen sind, habe ich ein ganz anderes Problem damit.
Ich möchte keine Spiele spielen, die queeres Leben persiflieren oder es darstellen, als ginge es nur um Regenbogen und Sex, oder, und das ist der beste Fall, sich mit queerer Trivia beschäftigen. Dabei möchte ich den Spielen gar nicht ihre Berechtigung absprechen, wer daran Spaß hat, soll sie ruhig spielen. Im Vergleich zu anderen Bereichen der Gesellschaft handelt es sich dabei zumindest nicht um pinkwashing, sondern eher um eine Art ludischen Community-Service, entspringen diese Spiele doch meist auch den Köpfen von queeren Autor:innen. Was ich mir in Medien aber wünsche, und das betrifft auch mein Lieblingsmedium das Brettspiel, sind realistische Darstellungen und ernstzunehmende Repräsentationen queerer Menschen und Lebensweisen.
Visuelle Aspekte / Vielfalt zeigen
Bei der Frage nach Diversität hat das Medium Brettspiel allerdings großen Nachholbedarf. Kein Wunder, war es doch lange als nerdige Freizeitbeschäftigung vornehmlich weißer Männer verkannt. Erst langsam wächst das Verständnis, dass Brettspiele genauso divers sein sollten, wie die Spieler:innen selbst. Dabei ist die Frage, wie eine diverse Darstellung in einem solchen Medium aussehen kann, oder ob das bei abstrakten Brett- oder einfachen Kartenspielen überhaupt möglich oder nötig ist. Aber selbst dort gibt es tolle Ansätze, um gesellschaftliche Vielfalt darzustellen. Das Team um Spielköpfe hat klassische Spielkartensets so gestaltet, dass Personen sich „unabhängig von Hautfarbe, Geschlecht oder anderen äußeren Merkmalen wiederfinden“ können. Um Gleichberechtigung zu zeigen, gibt es statt einer Königskarte nur noch eine K-Karte, die sowohl einen König als auch eine Königin darstellt und bei Buben und Damen sind die Abbildungen so gestaltet, dass Geschlechterrollen aufgebrochen werden. Diese Art der Abbildung ist fantastisch, kommt sie doch durch ihre Offenheit ohne klischeehafte Darstellung aus.
Offenheit statt Vorgaben
In komplexeren, zeitgenössischen Brettspielen ist oft nicht nur auf visueller Ebene, sondern auch auf narrativer Ebene mehr Raum, um Diversität darzustellen. Spiele sind dafür das perfekte Medium, denn statt einfach nur zu rezipieren, übernehmen Spielende hier die Rollen der Protagonist:innen und gestalten so aktiv das Geschehen mit. So lassen sich beim Spielen selbstverständlich verschiedene Rollen einnehmen, die man sanktionsfrei erproben kann. Klassische Rollen- und Geschlechterbilder können so spielerisch hinterfragt werden. Dazu braucht es aber auch entsprechende Angebote, denn Menschen brauchen Identifikationsfiguren, und zwar solche, die möglichst facettenreich sind.
Die Idee wäre also queere Figuren und Themen ebenso selbstverständlich und unhinterfragt zu präsentieren wie binäre heteronormative Rollen- und Gesellschaftsbilder. Denn die Darstellung von queeren Menschen ist kein Genre, sondern ein Abbild gesellschaftlicher Vielfalt. Sichtbarkeit schaffen bedeutet also nicht queere Themen mit dem Holzhammer zu präsentieren, sondern Angebote für Interpretation zu liefern. Manchmal reicht dafür schon gewisse Dinge offen zu lassen. Heißt es etwa in einem Spiel „Die schöne Prinzessin wartet schon lange sehnsüchtig auf ihren Traumprinzen.“ – so gibt das Spiel hier heteronormative Narrationen vor, die es vielleicht so gar nicht gebraucht hätte. Anstatt offen zu lassen, wer nun eigentlich der Prinzessin Liebesbriefe schreibt, wird den Spielenden eine Rolle vorgegeben und dieses Vorgeben und Auferlegen von Geschlechter- und Rollenbildern ist eine Erfahrung, die queeren Menschen nur allzu bekannt vorkommt.
Titelbild: Symbolbild | © Nika Benedictova on unsplash.com
hat Europäische Ethnologie an der Karl-Franzens-Universität Graz und der Humboldt-Universität in Berlin studiert. Seit Schwerpunkt liegt in der Erforschung gesellschaftlicher Repräsentationen in Spielformen, vornehmlich dem Brettspiel. Als empirischer Kulturwissenschaftler interessiert er sich zudem für die Praxis des Spielens und hat darüber auch seine Masterarbeit verfasst. Zusammen mit anderen betreibt er den Wissenschafts-Blog Boardgame Historian, auf dem sich verschiedene Wissenschaftler:innen mit dem neuen Forschungsfeld analoger Spiele beschäftigen.