Fangen wir mal ganz klein an: In unserer Kultur dominiert die Vorstellung, dass es zwei Geschlechter gibt. Diese sind? Bingo. Weiblich und männlich. Mann und Frau. Mädchen und Bub. Dieser ganze Zirkus fängt meist mit dem Satz “Gratuliere, es ist ein …!” an. Von da an gibt für uns kein Entkommen, denn diese fünf Worte bestimmen unser ganzes Leben. Sie bestimmen welche Spielzeuge uns gekauft werden, welche Kleidung uns angezogen wird, mit wem wir spielen dürfen, welche Hobbies wir wählen können, in welche Schule wir gehen, welchen Berufsweg wir einschlagen, wie andere Personen uns wahrnehmen und – wie wir uns selbst wahrnehmen sollen. Kurzum: Diese fünf Worte legen fest, wie wir sozialisiert werden.
Binär? Nicht-Binär?
Aber was, wenn es nicht passt, dieses Zwangskorsett aus Geschlecht, in das wir da hinein gezwängt werden? Wenn wir uns anders fühlen, weder weiblich, noch männlich? Oder mehr als beides? Solche Personen gibt es und wir sind viele. Auf ganz unterschiedliche Art und Weise haben wir für uns eine grundlegende Wahrheit entdeckt: Geschlecht ist und muss (!) nicht binär sein. Was uns als Entweder-Oder aufgezwungen wurde hat nicht nur zwei Optionen, sondern ist in Wirklichkeit ein schillernder Regenbogen voller Nuancen und Chancen. Geschlecht kann zwangsfrei sein, kann spielerisch entdeckt werden, kann Spaß machen – und es kann nicht-binär sein.
Zu sich selbst finden
Nicht-binär, die eingedeutschte Form von non-binary, beschreibt die Geschlechtsidentität jener Personen, die sich nicht in die binären Kästchen unserer Gesellschaft zwängen wollen. Zu tun hat das Ganze ausschließlich mit Geschlechtsidentität: Romantische und/oder sexuelle Identitäten spielen hier keine Rolle. Und verwirrt ist hier auch niemand. Ganz im Gegenteil, zu sich selbst zu finden bringt viel Klarheit, kann unheimlich befreiend sein und ist manchmal sogar lebensrettend.
Geprägt wurde der Begriff erstmals in den 1980er Jahren in aktivistischen Kreisen, doch vielfältige Ausdrucksformen geschlechtlicher Varietät gibt es schon viel länger (und nicht nur in unserer Kultur!). Nicht-binär ist damit also Nichts-Neues. Oft wird nicht-binär auch als Überbegriff für Geschlechtsidentitäten wie genderqueer, agender, bigender oder genderfluid genützt. Ihnen allen liegt die Zurückweisung der geschlechtlichen Binarität und Verortung außerhalb dieser zugrunde, aber das ist auch schon alles, was sie gemeinsam haben. Denn Fakt ist, es gibt sie nicht, die eine, “wahre” nicht-binäre Identität. Oder einen bestimmten Dresscode.
Nicht-binäre Identitäten sind vielfältig, fluide und divers. Manche nicht-binäre Personen präsentieren sich sehr androgyn, manche fluktuieren zwischen maskuliner und femininer Ausdrucksweise, manche fühlen sich mehr dem weiblichen zugehörig, manchen dem männlichen, manche keinem der beiden und manche beidem gleichzeitig und all das kann sich im Laufe des Lebens auch noch verändern. Wichtig ist es, die Identität nicht-binärer Personen anzuerkennen und auch auf diese einzugehen.
Ein wichtiger Schritt in diese Richtung ist das, leider vielfach verteufelte, Gendern. Sternchen, Doppelpunkt und Unterstrich schaffen Bewusstsein dafür, dass es noch mehr gibt abseits und innerhalb der Binarität. Gleichermaßen hilft die vermehrte Verwendung nicht-binärer Pronomen dabei, nicht-binäre Lebensrealitäten sichtbar zu machen. Aber, in einer Gesellschaft, die aktiv Barrieren für all jene aufstellt, die einem heteronormativen able-bodied nicht entsprechen, ist vor allem die Benützung von Pronomen noch mit viel Unsicherheit, Mut und, ja auch, Gefahr verbunden. Nicht alle von uns können in allen Lebenssituationen selbstsicher unsere Pronomen verkünden. Zu oft schlägt uns Unverständnis, Ignoranz und, ja auch, Gewalt entgegen.
Deine Mithilfe!
Deshalb hier auch ein Aufruf an alle, die Allies sind oder es noch werden wollen: Helft mit!
Nehmt mal aktiv war wo und wann ihr euch überall so selbstständig zwischen den Kästchen “männlich” und “weiblich”, “Herr” und “Frau” unterscheiden müsst und hinterfragt, warum es keine anderen Optionen gibt.
Setzt nicht voraus, jemandes Geschlecht zu kennen. Nicht-Binarität ist eine Identität, kein “Look”!
Signalisiert, dass nicht-binäre Personen sich bei euch sicher fühlen können, dass ihr deren Pronomen und gewählte Namen respektiert und ihr sie unterstützt! Nehmt sie an, eure eigenen Pronomen, die für euch bisher so selbstverständlich waren und beobachtet mal aktiv, in wie vielen Situationen ihr eigentlich damit konfrontiert werdet. Nennt sie laut und stolz, wenn ihr euch vorstellt, schreibt sie in eure Bios, in eure E-Mail Signaturen, auf eure Visitenkarten. Lasst uns gemeinsam auf Pronomen aufmerksam machen und normalisieren, dass es nicht nur “er” und “sie” gibt in unserer wunderschönen deutschen Sprache. Aber seid auch vorsichtig, denn das Nennen von Pronomen bedeutet für nicht-binäre Personen immer gleichzeitig ein Outing und das ist leider noch nicht in allen Situationen möglich.
Lasst uns alle, nicht-binär oder nicht, mithelfen unsere Gesellschaft wunderschön bunt, sicher und offen zu gestalten!
Titelbild: Symbolbild | © Valerie Elash on unsplash.com
absolviert derzeit ein Doktorat der Geisteswissenschaften mit Fokus auf Medienkulturwissenschaften, sowie einen Master in interdisziplinären Geschlechterwissenschaften an der Universität Graz. Seit 2019 unterrichtet dey als Lektor*in auch Kurse zu Feminismus, Intersektionalität und Queerness an derselben. Parallel dazu beschäftigt sich dey mit den Themen Geschlecht, Sexualität und Körperlichkeit(en) auf der Bühne. Seit 2016 ist El(l)i als künstlerische und organisatorische Leitung Teil der Theatergruppe Pennyless Players und seit 2019 Teil des Künstlerkollektivs Peace Babies.