Nin-Binary Family

Bevor unser Interview beginnt frage ich noch schnell nach den Pronomen meiner Interviewpartner:innen. Nin benutzt sowohl männliche als auch weibliche Pronomen, Ruth und ich beide sie/ihr. Für meine Reportage werde ich er/sein für Nin benutzen. So, und jetzt da das geklärt ist kann es auch schon losgehen. 

Ich sitze mit Ruth und Nin zusammen im Café Phil in Wien, um uns herum herrscht recht viel Wirbel, Musik spielt im Hintergrund während wir umgeben von Büchern stundenlang plaudern. Auf dem Heimweg zerbreche ich mir den Kopf darüber, wie ich wohl all die Themen rund um Non-Binary in eine Reportage packen soll. Von Unterstützung, Aufklärungsarbeit, der (Ohn-)Macht der Sprache, bis hin zu einer Hochzeit, scheint alles dabei zu sein. Das Gespräch fließt wie von selbst, was nicht weiter verwunderlich ist, wenn man bedenkt, dass sowohl Nin als auch Ruth es sich zur Aufgabe gemacht haben auf Menschen zuzugehen und sie zu informieren. Speziell geht es hierbei um queere Familien. Nin, pansexuell und nicht-binär, aus der Perspektive einer queeren Person und Ruth, als Mutter, aus der Perspektive des Elternteils. Inzwischen haben beide eine sehr gute Beziehung zueinander, doch der Coming-Out Prozess war nicht leicht. 

Nin und Ruth | © Verena Fussi

„Ich bin dann fast wie in ein Vakuum gefallen.“ 

Für Ruth taten sich auf einmal viele Fragen und vor allem viele Sorgen auf, es fehlte ihr an Information. Vor allem zu dem Zeitpunkt, an dem Nin sich als trans* geoutet hat. Für Nin fällt nicht-binär unter den Trans-Begriff. Trans* zu sein bedeutet, sich nicht mit dem bei der Geburt zugeteiltem Geschlecht zu identifizieren. Es ist ein sehr breitgefächerter Begriff, der unzählige Identitäten beinhaltet. Ebenso verhält es sich mit dem Begriff „nicht-binär.“ Für die eine Person bedeutet nicht-binär eine Abwesenheit jeglichen Geschlechts, für die andere ein Fließen zwischen verschiedenen Geschlechtern und für Nin heißt es voller Geschlecht zu sein. Doch all dies wusste Ruth natürlich nicht. Sie kannte trans* nur im Zusammenhang mit Hormonen, Operationen und Geschlechtsanpassungen. Wobei hierfür oft auch andere, schädliche, Begriffe verwendet werden, die ich hier nicht erwähnen werde. Für Ruth bedeutete Nin’s Outing also eine schwierige und schmerzhafte Zukunft, voll von Diskriminierung, Sprüchen oder sogar Gewalt. Für sie bedeutete es, Angst zu haben, Angst um ihr Kind, Angst davor, was Nin passieren könnte.  

„Was macht einem Angst?“

Angst macht das, worüber wir nicht genug wissen. Unwissen macht Angst, Unsicherheit macht Angst. Für Ruth war es das Vakuum an Informationen, für Nin die Ungewissheit über die Gedanken und Gefühle seiner Mutter. Die zwei Tage „Verarbeitungszeit“, um die seine Mutter bat, waren emotional extrem anstrengend. In der Schwebe zu hängen, nicht zu wissen, was im Kopf der eigenen Mutter vorgeht, zu sehen wie emotional sie auf die Offenbarung eines Teils der eigenen Identität und Realität reagiert, ist nicht nur schwer, sondern leider auch nicht selten. Nicht jedes Coming-Out muss oder wird so ablaufen. Zum Glück gibt es heutzutage auch sehr freudige, lustige oder gar unspektakuläre Outings. Manchmal ist ein Outing nicht einmal notwendig, weil es von Anfang an klar war, oder der Raum für ein freies Leben der Identität und Sexualität besteht. 

Doch als Nin sich geoutet hat, gab es bei weitem nicht so viel Offenheit und Toleranz in unserer Gesellschaft. Weder beim ersten, zweiten, noch dritten Mal. Mit 15 outet Nin sich als lesbisch, zuerst seiner Schwester, dann seiner Mutter und seinem Vater. Auch hier war es mit sehr vielen Emotionen verbunden, da es damals noch hieß, dass Nin niemals heiraten oder Kinder haben könnte. Man vergisst gerne wie weit wir in den letzten zehn Jahren im Bereich der LGTBIQ-Rechte gekommen sind, aber auch wie weit wir noch gehen müssen. Etwas später in seinem Leben, als er bereits ausgezogen war, outete Nin sich als trans* und als pansexuell. 

Der Prozess, sich von unserer heteronormativen Denkweise zu lösen und sich selbst zu finden, passiert nicht von einem auf den anderen Tag.

Nin

Das mehrfache Outing und Weiterentwickeln der queeren Identität ist, meiner Erfahrung nach, keine Seltenheit. Der Prozess, sich von unserer heteronormativen Denkweise zu lösen und sich selbst zu finden, passiert nicht von einem auf den anderen Tag. Auch ist die eigene Identität nicht statisch. Nin bereut es nicht, sich als lesbisch geoutet zu haben und sein Outing als pansexuell später im Leben macht diesen Teil von ihm und seiner Geschichte auch nicht weniger valide. Für ihn war es damals die richtige Identität und der richtige Begriff, um sein Empfinden zu beschreiben. 

„Die Sprache gibt nichts her“

Falls ich mir hier einen kleinen Ausflug in die akademische Seite meines Denkens erlauben darf, so möchte ich die Annahme einbringen, dass Sprache unser Verständnis von der Welt formt. Durch sie können wir verschiedene Dinge unterscheiden und uns anderen gegenüber (meistens) verständlich ausdrücken. Jedoch schränkt sie auch ein, denn es ist schwer etwas zu beschreiben wofür einem die Worte fehlen. Man merkt dies zum Beispiel an der Schwierigkeit geschlechtsneutrale Pronomen im Deutschen zu finden. Wo im Englischen they/them verwendet wird, ist das Plural im Deutschen schwer möglich, ohne zu riskieren es mit den weiblichen Pronomen zu vertauschen. 

Selbst wenn ein Begriff existiert, ist er nicht immer allen bekannt und nicht jede:r weiß worum es genau geht. Wie man oben vielleicht schon gemerkt hat, hatte Ruth ein ganz anderes Bild davon, was es heißt trans* zu sein. Sie kannte den Begriff aus den Medien, aus einem eingeschränkten, meist von cis-geschlechtlichen Menschen erstellten, Rahmen. Dies gilt natürlich nicht nur für die Begriffe trans* oder nicht-binär. Sehr viele der queeren Identitäten sind entweder nicht bekannt oder existieren am Rande der Gesellschaft und des Sprachgebrauchs. So geht es auch vielen queeren Personen selbst. Es gibt zwar Orte, Viertel, ganze Stadtteile, in denen es bunt zugeht. Jedoch findet man auch genug, an denen eine Regenbogenfahne keinen Platz zu haben scheint. Für Personen, die dort aufwachsen und wohnen, bedeutet LGTBIQ wenig bis nichts. Wie sollen sie dann damit umgehen können, wenn sie einer queeren Person begegnen?

Nin und Ruth | © Verena Fussi

„Ich hatte die ganze Arbeit, es ging um alle anderen, wie sie empfinden“

So ist es leider auch Nin ergangen, ihm wurde mit Unsicherheit und Angst begegnet und diese führten dazu, dass das Coming-Out für ihn keine gute Erfahrung war. Er musste nicht nur mit den Reaktionen seines Umfelds leben, es lag auch oft an ihm die emotionale und aufklärende Arbeit zu leisten. Anderen dabei zu helfen mit seinem Coming-Out „umzugehen“. Dies ist leider sehr oft der Fall. Viel zu häufig fällt die Aufgabe der Aufklärung auf die Person, die eigentlich um Verständnis und Akzeptanz ansucht. 

Das Kind sollte nicht die emotionale Arbeit verrichten und noch dazu die emotionale Last des Coming-Outs tragen müssen. Eltern brauchen einen Ort außerhalb der Familie um ihre Gefühle, Ängste, Sorgen mitteilen zu können. Genau deshalb hat Ruth zusammen mit dem Sexualpädagogen Marcel Franke eine erste Anlaufstelle für Eltern von queeren Kindern kreiert. Aufblühen mit queeren Kindern! bietet Module zu verschiedenen Themen an. Zum Beispiel auch darüber, wie das Coming Out aus der Sicht der Kinder, queer und nicht queer, erlebt wird. Die Arbeit von Ruth und Marcel soll auf keinen Fall offizielle Beratungsstellen ersetzen, sondern als eine Art Bindeglied und erster Kontaktpunkt agieren. So werden Eltern hoffentlich aufgefangen und können um Unterstützung ansuchen, zum Wohle des Kindes.

Was mir an meinem Gespräch mit Nin und Ruth am meisten hängen geblieben ist, ist dies: Das Kind soll und steht im Mittelpunkt. Es geht darum das Kind zu unterstützen. Dafür muss man Eltern stärken, Lehrpersonal ausbilden, Information schaffen, Raum schaffen, Verständnis schaffen. Denn, in Ruths Worten: „Kindern den Rücken zu kehren geht gar nicht, egal was kommt.“ 

Titelbild: Ruth und Nin | © Verena Fussi