Du Schlampe!

Du trägst freizügige Kleidung oder hast gerne Sex und machst kein Geheimnis daraus? Dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass du dir diesen Spruch schon einmal anhören musstest. In unserer Gesellschaft gelten weibliche Körper immer noch als Sexualisierungsobjekt, die, wenn sie nicht versteckt sind, Begierde auslösen – deswegen gilt die Devise, dass „anständige“ Frauen* ihre Körper nicht zur Schau zu stellen zu haben. Und weibliche Lust? Darüber wird nicht gesprochen. Über die Scham, mit der eine patriarchale Gesellschaft offen gelebte Weiblichkeit besetzt.

Das bereits beschriebene Phänomen trägt einen Namen: Slutshaming. Frauen* werden Schuldgefühle gemacht, wenn sie ihre Körper nicht ausreichend mit Kleidung „verdecken“, sie zu viel Make Up verwenden oder gerne auf Instagram posen. Alles geschieht mithilfe eines Begriffs: Schlampe. Dabei handelt es sich um mehr als eine bloße Beleidigung, hinter Slutshaming steckt noch viel mehr. „Es ist sehr altes Gedankengut, das die Menschen hier leitet. Früher wurde Religion als Vorwand benutzt, um Frauen* und ihre Sexualität zu unterdrücken – das steckt immer noch in uns und das ist auch das Ziel von Slutshaming: Die (Lust-)Unterdrückung der Frau“, so Sexualtherapeutin Barbara Thönnessen aus Unterpremstätten.

Slutwalk in Wien | © Käthe Löffelmann

Diese Unterdrückung kann so weit gehen, dass sie sogar Gerichtsurteile beeinflusst, wenn es um sexuelle Übergriffe an Frauen* geht. Frauen*, die männlichen Gierobjekte, seien demnach selbst schuld, wenn sie belästigt oder gar vergewaltigt würden, wenn sie sich zu freizügig kleiden oder verhalten. Die Opfer-Täter-Rolle wird hier umgekehrt, „die Schlampen“ hätten ihr Unglück selbst zu verantworten. 

Was Slutshaming anrichten kann

Doch auch im privaten Rahmen kann Slutshaming verheerende Auswirkungen haben. Frauen*, die gerne und viel Sex haben oder die „zu viel“ Haut zeigen, werden oft auch von Menschen in ihrem Umfeld zutiefst beleidigt und missverstanden. Sogar andere Frauen* können dabei mitspielen – sie empfinden vermehrt Eifersucht und sehen andere Frauen* bewusst oder unbewusst als Konkurrentinnen*. Mithilfe der Beleidigung werden eben diese Eifersucht und das Gefühl von Bedrohung kleiner gemacht. Barbara Thönnessen spricht bei Slutshaming von „Mobbing für das eigene Verhalten“ und beschreibt die schwerwiegenden Auswirkungen, die es auf die Psyche der betroffenen Frauen* haben kann. Vor allem Depressionen sind hier ein häufig auftauchendes Phänomen, das daraus resultiert, dass sich die Frauen*, die von Slutshaming betroffen sind, in sich selbst zurückziehen und vor der Außenwelt verschließen. Wichtig sind hier ein gesundes, stützendes Umfeld und gegenseitiges Empowerment unter Frauen*.

Slutwalk Wien: Frauen ermutigen Frauen

Am 10. Juli 2021 fand in Wien der erste Slutwalk des neuen Kollektivs statt: Eine Demonstration für sexuelle Selbstbestimmung und gegen Rape Culture, Victim Blaming und Slutshaming. Dabei wurden FLINTA*-Personen dazu aufgerufen, sich ohne Scham oder Angst vor Vorurteilen so zu kleiden, zu bewegen und zu verhalten, wie sie es wollten. Es handelt sich also um eine Bewegung, bei der sich Frauen gegenseitig den Rücken stärken.

Begonnen hat alles damit, dass ein Polizist in Toronto, USA, eine Rede hielt, mit der er Frauen klarmachen wollte, wie sie verhindern könnten, vergewaltigt zu werden. Seiner Meinung nach ließen sich sexuelle Übergriffe leicht vermeiden: Frauen müssten sich nur weniger „slutty“ anziehen. Diese Aussage sorgte für große Empörung bei den Studentinnen* der Universität in Toronto, worauf die Initiative Slutwalk gestartet wurde. Daraufhin fanden die ersten Demonstrationen statt – weltweit folgte man ihrem Beispiel.

Ein neues Slutwalk-Kollektiv aus Wien

Diesen Sommer fand auch in Wien ein Slutwalk statt. Die Botschaft ist auch hier dieselbe: Es ist nie deine Schuld, wenn du sexuell belästigt wirst, ganz egal, wie du dich verhältst. „Slutshaming ist ein Weg, Macht über Personen zu bekommen, die nicht in das patriarchale Weltbild passen. Die Sexualität einer Person soll kontrolliert werden, indem Scham hervorgerufen wird“, so Beatrice vom Slutwalk-Kollektiv Wien. Dagegen wurde im Juli demonstriert, in Zukunft soll der Slutwalk jährlich stattfinden. 

Hinter der Organisation aus Wien stecken Beatrice, Denise, Tabea und Tamar – vier Frauen, die keine Mühen scheuen, um sich für gegenseitiges Empowerment von Frauen einzusetzen: Sie schreiben Reden, organisieren die Demonstrationen, starten Spendenaufrufe und bewerben ihre Veranstaltung selbst. Und die viele Arbeit war es definitiv wert: Volle Straßen, DJ-Musik, Tanzeinlagen und freizügig gekleidete Menschen, die sich mitten in der Stadt wohlfühlen konnten, ein echter Triumph. „Wir haben eigentlich nur positives Feedback bekommen. Alle haben sich super wohl gefühlt und es hat eine tolle Atmosphäre geherrscht!“, erzählt mir Tamar. Bis auf ein paar Hasskommentare auf Instagram hätte es keine negative Resonanz gegeben. Genau gegen diese Personen stellt sich die Slutwalk-Initiative – nicht mit Frontalangriffen, sondern durch gegenseitiges Starkmachen. „Es geht vor allem um Empowerment und darum, über seine Erfahrungen reden zu können.“ Ganz nach der Devise: Gemeinsam sind wir stärker. Wir freuen uns auf alle Fälle schon auf nächstes Jahr!

Drei der vier Organisatorinnen des Slutwalks in Wien | © Käthe Löffelmann

Inside Facts: Wofür steht FLINTA*?

F: Frauen – damit sind also all jene Personen gemeint, die sich als weiblich identifizieren.

L: Lesben

I: Intersexuelle Menschen

N: Nicht-Binär

T: Transgender

A: Agender – dies bezeichnet alle Personen ohne Geschlecht 

Titelbild: Organisatorinnen des Wiener Slutwalks | © Käthe Löffelmann