„Aus mir kommt Farbe“

Aus der Künstlerin Hannah-Christina Nebosis kommt Farbe. Farbe heißt Blut. Menstruationsblut. Die Künstlerin arbeitet derzeit an einem Jahresprojekt „Aus mir kommt Farbe“. 2021 malt sie jedes Monat an ihrem Zyklus sechs Selbstportaits aus ihrem Blut, das sie direkt aus ihrer Menstruationstasse entnimmt. Jedes einzelne Portrait spiegelt ihre Stimmung wieder. Auch ihre Texte, die sie begleitend dazu schreibt, legen ihre Gefühle in diesem Moment offen.

Hannah-Christina Nebosis ist Bildende Künstlerin, Theaterpädagogin und Kreativtrainerin in Ausbildung. Ihre Leidenschaft lebt sie in großformatigen Live-Malereien auf Konzerten aus. Sie lebt und arbeitet in Wien. Die Künstlerin ist Mitglied des Künstlerkollektivs ROMPUS (New Jersey/USA).

Wir sitzen bei frisch aufgebrühten Kaffee auf der Terrasse. Etwas kühl ist es bereits. Unser Gespräch nimmt einige Wendungen und doch dreht sich alles ums Blut. Einen Auszug davon findest du hier. Krassimir Kolev begleitet uns mit seiner Kamera, wir hören im Hintergrund das leise Auslösen des Fotoapparats und die Stimmen der Nachbar:innen aus dem Innenhof.

Hannah-Christina Nebosis während des Interviews | © Krassimir Kolev

Provokation und Stolz

“Blut als Farbe ist extrem spielerisch und hat etwas Experimentierfreudiges – fast schon Kindliches”, reflektiert Hannah-Christina Nebosis. “Denn auch Kinder matschen herum und wollen ausprobieren. Sie beurteilen nicht.” Die Künstlerin lässt im Projekt Aus mir kommt Farbe ihre Entdeckerinnenfreude aufleben: “Da kommt etwas aus mir raus, mit dem ich Kunst machen kann. Es macht mich stolz! Das ist Empowerment.” Sie zeigt sich durch diese Werke von ihrer verletzlichen Seite und gibt dadurch viel von sich preis. So stellt sich Hannah-Christina die Frage: “Warum ist Menstruationsblut 2021 überhaupt noch eine Provokation?”

Zyklus als Kraftquelle

Ein Thema, so präsent und so wenig thematisiert. “Ich blute sechs Tage im Monat. Es beeinflusst mich, wie ich mich fühle, wie viel Energie ich habe”, bringt sie auf den Punkt. Die Künstlerin betont: “Wenn man als Person mit Zyklus diesen zu nutzen weiß, ist das so eine starke Kraftquelle. Jemand hat mal zu mir gesagt, wenn man nicht über seinen Zyklus Bescheid weiß, ist es so, als ob man sein Leben lang im zweiten Gang Auto fährt. Und so fühlt sich es auch an.”

Selbstermächtigung

Die starken Emotionen – Schmerz, Wut, Verwirrtheit und Verletzlichkeit  – die während der Menstruation präsent sein können, wandelt die Künstlerin durch ihre Bilder in etwas Größeres, Kraftvolles und Positives um. Dabei geht es ihr auch um die Selbstermächtigung durch kreative Prozesse. Denn es gab eine Zeit, da fürchtete sie sich vor der Menstruation: “Es beeinträchtigt mich in meiner Arbeit und in den zwischenmenschlichen Beziehungen”, so Hannah-Christina. “Heute nehme ich alles, was in mir brodelt, verwirrend und schmerzhaft ist und versuche es in etwas Künstlerisches zu kanalisieren!” 

Wir wechseln den Raum. Hannah-Christina Nebosis hängt alle ihre bisherigen Selbstporträts aus Blut auf einer weißen Wand in ihrer WG im sechsten Wiener Gemeindebezirk für uns auf. Der Raum wird immer wärmer, wir befinden uns zu dritt darin. Ich bilde mir ein, das getrocknete Blut zu riechen. So nahe an jedem einzelnen Porträt zu sein ist so, als ob ich mich als menstruierende Frau selbst darin wiedererkenne. 

Diese Momentaufnahme beende ich mit Hannah-Christina Nebosis Frage an die Gesellschaft: “Warum ist Menstruationsblut 2021 überhaupt noch eine Provokation?”

Titelbild: Hannah-Christina Nebosis vor ihren Portraits | © Krassimir Kolev