Coming Out ist so 90er!

Reden wir doch einmal über Gott, die Kirche und Homosexualität: Und zwar mit dem Superintendenten* der evangelischen Kirche Niederösterreich, Lars Müller-Marienburg.

Erst ein kleiner Blick in die Vergangenheit des gebürtigen Bayers. Zwar evangelisch getauft, wie es in der süddeutschen Region üblich ist, weitgehend ohne große Bindung zu Gott, wuchs er behütet auf. „Das Gerede vom guten, liebenden Gott war mir damals unverständlich, doch fasziniert hat mich die Kirche dann doch irgendwie. Die glanzvollen Gottesdienste, die Gewänder und die oft majestätisch wirkenden Gotteshäuser haben eindeutig Eindruck hinterlassen.“ Bereits mit dreizehn Jahren war ihm bewusst, er möchte Pfarrer werden, doch der Glaube zu Gotte fehlte. Mit achtzehn Jahren folgte dann ein Austauschjahr in Kanada, wo er eine christliche Privatschule besuchte. Hier geschah es und der Ruf Gottes erreichte ihn. „Es war absolut nichts Intellektuelles. Gott war und ist bis heute einfach da.“

Doch nicht nur seine Beziehung zu Gott fand hier seine Anfänge, auch erkannte Müller-Marienburg, dass er sich zu Männern hingezogen fühlt. „Ich wusste also, dass ich schwul bin. Und die Verbindung zu Gott bestärkte mich in diesem Weg.“ So kam es am Heiligen Abend 1995 dazu, dass er sich bei seiner Schwester outete. Ihre gelassene Reaktion führte wieder zurück in Kanada zu weiteren Outings und einem großen Schritt Richtung Freiheit. „Bereits seit dieser Zeit gehe ich offen mit meiner Sexualität um“.

Kirche und Homosexualität – geht das?

Gegen den Willen der Eltern brach er dann das begonnene Rechtswissenschaftstudium ab und begann ein Theologiestudium. „Ich habe in München einen offen schwul lebenden Pfarrer kennengelernt und erkannt, dass ich auch meinen Wunschberuf mit meiner Homosexualität vereinen konnte.“ Diese Entscheidung führte ihn nach Österreich, da er in Bayern als schwuler Pfarrer nicht mit seinem damaligen Partner im Pfarrhaus leben durfte. Der Partner ging irgendwann, doch der Glaube blieb. So blieb auch Müller-Marienburg länger als gedacht in Österreich und wurde 2016 zum sogenannten Superintendenten gewählt. „Ich war immer offen, was meine Homosexualität angeht, daher war hier kein Outing nötig. Alle die mich wählen konnten, wussten zu diesem Zeitpunkt bereits wer ich bin und wofür ich stehe. Wenn mich jemand nicht wählen hätte wollen, dann wäre das also auch ok gewesen. Mir war auch immer schon klar, wenn die Kirche mich nicht will wie ich bin, dann mache ich eben etwas anderes.“ Doch er bekam großen Zuspruch und möchte diese Position in die er gewählt wurde nutzen, um unter anderem Verantwortung für jene Menschen der LGBTIQ-Community zu tragen, die es selbst nicht können. 

Lars Müller-Marienburg im Talar | © Helmut Rasinger

Die Kirche hat viel aufzuholen

Der Superintendent möchte aufzeigen, dass die Menschen der Community genauso Kinder, Enkelkinder oder auch Eltern von jemandem sind und nicht zu einem künstlich herbeigeführten Feindbild gemacht werden sollen. „Viel zu oft wurde diese Gruppe von Vertretern der Kirche als etwas „Böses“ dargestellt. Die Kirche hat hier nun sehr viel aufzuholen, denn diesen Menschen muss endlich gesagt werden, dass sie in der Kirche willkommen sind und das möglichst laut.“ Er weiß, dass Menschen aus der Community oft gezwungen sind ein Doppelleben zu führen und gerade hier sollte die Kirche Rückhalt und Kraft bieten, um zu sich selbst stehen zu können. „Ich finde, in der Kirche ist es gut, wenn man eine Minderheit ist (z.B.: evangelisch), so ist man nicht gezwungen Träger der Traditionen zu sein und kann sich auf das wirklich wichtige konzentrieren: Die Unterstützung der Menschen.“ Er selbst ist froh darüber schwul zu sein. „Es ist ein Teil meiner selbst und ich kann ja nichts dafür, also bin ich einfach stolz darauf.“ Er sagt auch, dass ihn seine Homosexualität davor bewahrt hat, ein konservativer Mensch zu werden, denn schon früh hat sich dadurch sein Horizont erweitert. Er hat begonnen sich über andere Menschen Gedanken zu machen und wusste schnell, dass er auch andere Minderheiten unterstützen möchte.

Ehe für alle – ein ewiger Kampf?

Seit 1. Jänner 2019 dürfen gleichgeschlechtliche Paare in Österreich standesamtlich heiraten. In der evangelischen Kirche wurde dazu viel diskutiert. Es schien keine Einigung zu geben. Für Müller-Marienburg war es ein herausforderndes Thema, denn mit der Trauung für alle würde die Kirche zeigen, dass jeder in der Gemeinschaft willkommen ist. „Jeder Pfarre sollte freistehen, wer die Zeremonie abhalten möchte und wer nicht.“ Mittlerweile hat es zu seiner Beruhigung eine Einigung gegeben, die eine kirchliche Trauung, einen Dank- und Segnungsgottesdienst ermöglicht.

Lars Müller-Marienburg ist ein Vorbild. Er schöpft täglich Kraft aus Begegnungen die ihm zeigen, dass sein Beruf Sinn macht. Für ihn ist die Vielfalt unserer Gesellschaft etwas Schönes, das er unterstützen möchte. Persönlich möchte ich hier abschließend sagen: Gäbe es mehr Pfarrer wie ihn, hätte die Kirche zumindest ein Imageproblem weniger.

* Ein Superintendent ist der Inhaber eines Leitungsamtes in evangelischen Kirchen, insbesondere in Deutschland und Österreich. Das Pendant in der römisch-katholischen Kirche ist der Diözesanbischof.

Titelbild: Im Jugendlager mit Jugendpfarrerin Anne-Sofie Neumann | © privat