Kommentar von Roman Klug
Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass dicke Menschen diskriminiert werden. Es ist eine versteckte, tabuisierte und unauffällige Form der Diskriminierung, die wir dicken Menschen erfahren. Dicke Menschen kriegen weniger Aufmerksamkeit, weniger Zuwendung und Liebe. Sie gelten landläufig als unattraktiv. Sie werden als unförmig angesehen. Als „Aus-dem-Leim-Gegangene“. Als „Aus-allen-Fugen-Geratene“. Sie werden auf Verdacht wahlweise als gemütlich bis faul eingeschätzt und sind jedenfalls in gewisser Weise zumindest aber in ihrem Essverhalten disziplin-, maß- und zügellos.
Es herrscht die Meinung vor, dass sie selber Schuld an ihrem Leiden sind, denn sie können ja ihr Verhalten ändern, weniger fette und zuckerreiche Nahrung zu sich nehmen und endlich mehr Bewegung und Sport treiben. Dicke erkranken öfters und schwerer an den sogenannten Zivilisationserkrankungen wie zum Beispiel Herzinfarkt, Diabetes, usw. Auch treffen sie häufiger schwere Verläufe der Covid-19 Erkrankung.
Psychische Folgen
Was wäre wenn nicht das Dicksein selbst per se krank macht, sondern die psychischen Belastungen etwa durch die Ausgrenzung? Was ist wenn Dicke per se mehr Einsamkeit erleiden? Oder sie sich öfters konfrontiert sehen mit mehr oder weniger unterschwelligen Botschaften, dass sie so wie sie sind, nicht okay sind? Wenn sie zum Beispiel weniger Streicheleinheiten erfahren? Wenn sie sich dauernd mehr und oft viel mehr anstrengen müssen, um gesellschaftlich und persönlich anerkannt zu werden?
Könnte das nicht auch Auslöser dafür sein, dass dicke Menschen öfters sozusagen als „Symptome“ dieser fortgesetzten psychischen Belastung krank werden? Also die körperlich ausgeprägten Folgeerkrankungen, die dem Dicksein zugeschrieben werden, in Wahrheit Folgeerkrankungen von psychischen Folgeerkrankungen einer gesellschaftlich verankerten Dicken-Phopie und Dicken-Ausgrenzung sind?
Anderer Denkzugang
Ich möchte damit keineswegs behaupten, dass es krankmachende Fettleibigkeit bzw. Fettleibigkeit als Krankheitsbild nicht gibt. Wird beim BMI (Body-Mass-Index) ein von der WHO in den internationalen Klassifikationen E65-E68 festgelegter Wert überschritten, leidet man unter Adipositas (Fettleibigkeit/Fettsucht), einer chronischen Erkrankung, so die Definition.
Ich habe das Glück, dass mich einige Menschen in der Familie und Freund:innen, fast immer so mögen wie ich bin. Leider gibt es auch im Verwandten- und Bekanntenkreis Vorurteile und diskriminierende Äußerungen gegenüber dicken Menschen, bezeichnenderweise meist gegenüber abwesenden „Dritten“. Ich spürte, spüre mein ganzes Leben die Diskriminierung durch mein Dicksein. Ich für mich habe beschlossen, dies zu einer/meiner Tugend zu machen. Meine persönlichen Erfahrungen geben mir die Kraft mich mit anderen ausgegrenzten diskriminierten Menschen solidarisch zu zeigen. Ich lernte mich abzugrenzen, nicht abhängig zu machen, von den Vorurteilen, den Vorverurteilungen oder den Meinungen anderer.
Ich gebe mir selbst die Liebe und Zuwendung, den Respekt, die Wertschätzung und die Anerkennung, die ich verdiene. Ich genieße das Alleinsein als vielstimmigen Dialog mit mir selbst. Ich weiß, dass ich so wie jede und jeder mit allen und allem in der Welt auf eine geheimnisvolle Art und Weise – auch wenn es oft nicht so scheint – verbunden bin und daher kann mir die Einsamkeit, die ich am eigenen Leib erfahren habe, dieses grausame Gefühl, nichts mehr anhaben. Ich bin mir gegenüber nicht mit- oder wehleidig, sondern mitfühlend.
Angst vor Liebesentzug
Ich verstehe mittlerweile die Angst vor Dicken als Ausdruck einer Lieblosigkeit der Menschen sich selbst gegenüber. Dünne, sogenannt normale Menschen, spüren eigentlich genau wie und wann sie Dicke meiden, die Blicke von ihnen abwenden, sie weniger lieben können und zurückstellen. Eine ihrer Ängste ist es, so denke ich, selbst dick zu werden und dadurch Ausgrenzung erfahren zu müssen. Es ist so ähnlich wie mit den Armen und Bettler:innen die wir im Stadtbild nicht mehr sehen wollen. Weil sie uns eventuell bewusst machen könnten, dass es jede/jeden treffen könnte zu verarmen und von Almosen abhängig zu sein. Oder so wie wir den Tod aus unserem Sichtfeld verbannen, damit wir selbst nicht mit unserer Endlichkeit konfrontiert sind.
Aus tiefer Überzeugung heraus, lehne ich niemanden mehr ab, der mich ablehnt. Ich bin füllig, fühlend und lebe in Fülle. Alle, die an dieser Fülle teilhaben wollen und mit dem Herzen sehen, sind herzlich willkommen. Wir werden diese Welt ein Stück weit mit unseren Taten verändern, vielleicht ein Stück weit lebenswerter machen. Das wünsche ich mir für uns alle, für Menschen in jeder erdenklichen Form!
Mein Körper-Ich in Zahlen (Stand 13.06.2021):
- Gewicht: 138 kg
- Größe: 1,78 m
- BMI: 43,56
- Triglycerid: 55 Milligramm pro Deziliter
- Cholesterin: 109 Milligramm pro Deziliter
- High Density Lipoprotein: 50 Milligramm pro Milliliter
- Low Density Lipoprotein: 48 Milligramm pro Deziliter
Titelbild: © rok: „self portrait with … “, ink drawing, 21 cm x 30 cm, 2009