50 Jahre Entkriminalisierung – aber nicht für alle

Kommentar von Sarah Kirchmayer

Vor 50 Jahren wurde das Totalverbot von Homosexualität in Österreich aufgehoben. Endlich sollte es möglich sein, auch gleichgeschlechtlich frei und ungehemmt zu lieben, ohne strafrechtliche Konsequenzen fürchten zu müssen. Dass Österreich damals wie heute trotzdem noch keine Gleichstellung für alle erreicht hat, ist eine traurige aber nicht zu verleugnende Tatsache. Im Rahmen meines Interviews mit Luigi habe ich auch mit seinem Anwalt Dr. Helmut Graupner darüber gesprochen, wie es möglich war, dass ein Mann auch im Jahr 2000 noch wegen seiner Sexualität inhaftiert wurde: Streicheln und Küssen eines 14-Jährigen waren damals der Grund der Verhaftung von Luigi. Er wurde in eine Anstalt für abnorme Rechtsbrecher eingewiesen. Besonders hervorzuheben ist in diesem Belang, dass in Österreich das Alter von 14 Jahren bereits als mündig gewertet wird – das bedeutet, dass sexuelle Handlungen mit gegenseitigem Einverständnis nicht strafbar sind. Das galt bis ins Jahr 1971 allerdings nur für Heterosexuelle. 

Parallel zur Abschaffung des Totalverbots von Homosexualität führte die österreichische Regierung vier neue Gesetze ein, die dieses relativieren sollten – eines davon war die Anhebung des Schutzalters für Schwule auf 16 Jahre. Das bedeutet, dass sowohl heterosexuelle als auch lesbische Paare ab dem 14. Lebensjahr miteinander schlafen durften – nur für homosexuelle Männer galt das nicht. Der Paragraph, der das bestimmte, wurde erst im Jahr 2002 abgeschafft.

Das bekam auch Luigi zu spüren, der zwei Jahre im Gefängnis verbrachte und dessen Haft ohne die richtige Unterstützung vermutlich auf lebenslänglich ausgedehnt worden wäre. Doch die Unterstützung kam glücklicherweise – und heute spricht der 71-jährige mit uns über seine Zeit während und um die Inhaftierung – verletzt, diskriminiert, aber immerzu bereit, für sein Glück zu kämpfen.

„Kämpfen. Damit darf man niemals aufhören.“

Ein einfaches Leben sieht anders aus – August, der sich heute Luigi nennt, hat schon viel durchgemacht. Mit uns sprach er über seine unzähligen Reisen, vielseitigen Jobs und Anekdoten aus seinem Alltag – doch auch über die dunkleren Zeiten seines Lebens. Luigi verbrachte zwei lange Jahre im Gefängnis, die sich auf eine lebenslängliche Haft ausgedehnt hätten, wäre nicht die richtige Unterstützung gekommen. Der Grund für seine Verhaftung war Petting mit einem Jugendlichen – eine sexuelle Handlung, die nur deshalb bestraft werden konnte, weil sie gleichgeschlechtlich war.

Interview von Sarah Maria Kirchmayer und Hans-Peter Weingand

Graz, Lend – Sein lautes, angenehm herzliches Lachen hallt durch den Gemeinschaftsraum der RosaLila PantherInnen. Gerade erzählt Luigi stolz von seinen Enkelkindern und lockert die Stimmung mit seinen zahlreichen Geschichten auf. Der Grund für unser Interview ist aber ein schweres Kapitel im Leben des 71-Jährigen, doch von Schwermut, Wut oder Schmerz kann im Gespräch mit ihm nicht die Rede sein. Mit einer jahrelang aufgebauten Resilienz und inneren Ausgeglichenheit spricht der Mann, der sich keiner Sexualität fix zuordnen möchte, mit uns über die Erfahrung seiner Inhaftierung.

Du wurdest wegen Küssen und Streicheln eines gleichgeschlechtlichen Jugendlichen nicht nur inhaftiert, sondern auch in die Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen – laut dem Richter lag bei dir geistige und seelische Abartigkeit vor. Wie sind die Gespräche mit den Gerichtsgutachtern denn abgelaufen?

Luigi: Es war absurd. Es spielte überhaupt keine Rolle für sie, dass mein Verhältnis mit dem Jungen alles andere als einseitig war. Er hat sich freiwillig dazu entschieden. Sogar seine Mutter hat gesagt, sie fände die Inhaftierung absolut lächerlich. Doch das war egal. Ein Vergehen und noch dazu schwul – das war Grund genug für sie, mich auf unbefristete Zeit wegzusperren – wenn’s sein muss, auch für immer.

Richtig geredet haben sie bei den Begutachtungen nicht mit mir. Sie haben mir einfach ihren Stempel aufgedrückt.

Wie ist es dir mit der Situation damals ergangen?

Zuerst habe ich gar nichts gespürt – ich konnte es einfach nicht glauben, es hat sich total surreal angefühlt. Doch nach einiger Zeit hat es dann Klick gemacht – und das war der blanke Horror für mich. Ich hatte große Angst davor, dass sie mich tatsächlich mein restliches Leben dort behalten würden. Doch noch größer als die Angst war mein Unverständnis. Wenn es sich nicht um einen jungen Mann, sondern eine junge Frau gehandelt hätte, wäre ich niemals für so lange Zeit dort gelandet, das war klar.

Wie hast du das alles durchgestanden?

Ich habe mich einfach nie gehen lassen. Ich hatte immer Kontakt nach außen, bin mit der Welt und dem Leben, das ich davor hatte, in Verbindung geblieben. Und ich gebe prinzipiell nicht auf. Das habe ich noch nie. Wozu denn auch? Wer aufgibt, hat schon verloren.

Wie hast du es am Ende geschafft trotz des negativen Bescheids aus dem Gefängnis entlassen zu werden?

Ich habe Briefe geschrieben, an jeden, der mir eingefallen ist. An Politiker:innen, Vereine, ja, sogar dem Bundespräsidenten Heinz Fischer. Der hat sogar darauf reagiert und Wirbel gemacht. Die RosaLila PantherInnen haben im Pride-Magazin einen Spendenaufruf gestartet und ich bekam einen Anwalt, Dr. Helmut Graupner, ganz jung war der da noch. Aber er hat sich wirklich gekümmert – und das macht den großen Unterschied. Den meisten Leuten war es ganz einfach egal. Doch es hat glücklicherweise einige gegeben, bei denen es nicht so war. Dafür bin ich unglaublich dankbar.

Haben dich diese zwei Jahre auch nach der Entlassung noch weiterhin verfolgt? 

Natürlich gab es immer wieder Sticheleien, aber die gingen beim einen Ohr rein und beim anderen wieder raus. 

Luigi | © Sabrina Petz

Hattest du Probleme damit, wieder zurück ins Leben zu finden?

Ich habe mich gar nicht viel darüber nachdenken lassen und mich immer beschäftigt. Ich bin gleich nach Tirol gefahren und habe dort als Saisonarbeiter in der Gastronomie gearbeitet. Immer unterwegs und beschäftigt, so hat das funktioniert. Heute habe ich meine Familie, die mich aufbaut. Es gibt keine bessere Heilung als Zeit mit ihr zu verbringen.

Denkst du, dass es auch heute noch passiert, dass Menschen aufgrund ihrer Sexualität härter bestraft werden als andere?

Da bin ich mir sicher. Ich weiß nicht, wie es in Österreich ist, da hat sich zumindest auf rechtlicher Ebene schon viel getan. Aber es gibt Länder, die noch nicht so weit sind – und da passiert das hundertprozentig noch.

Was würdest du Betroffenen raten?

Kämpfen. Damit darf man niemals aufhören. In Wahrheit weiß die Justiz auch, dass sie Mist gebaut hat, sie will es sich nur nicht eingestehen. Und so, wie es bei mir auch lange war – niemand will sich darum kümmern. Deswegen muss man dranbleiben, niemals aufgeben und mit aller Kraft, die man noch hat, kämpfen.

Vielen Dank für deine Zeit!

Titelbild: Luigi | © Sabrina Petz