Endlich (straf)frei

Das Jahrhundertgesetz: Vor 50 Jahren wurde in Österreich das Totalverbot homosexueller Handlungen abgeschafft.

„Meine Freiheit … hat erst am 8. Juli 1971 durch Sie begonnen u. dafür danke ich Ihnen. … Sollte ich einer unter Tausenden sein, die vielleicht zu groß sind sich zu bedanken oder es als selbstverständlich hinnehmen, dann nehmen Sie von mir den tausendfachen Dank entgegen.“, diese Worte richtete ein 40-jähriger Buchhalter aus Wien an den damaligen SPÖ-Justizminister Dr. Christian Broda. Denn an diesem Tag, acht Minuten vor Mittag, hat der Nationalrat das „Strafrechtsänderungsgesetz 1971“ beschlossen. Es trat am 17. August in Kraft und damit waren einvernehmliche homosexuelle Handlungen zwischen Erwachsenen beziehungsweise zwischen Jugendlichen in Österreich nicht mehr strafbar. 

Homosexualität war ein Verbrechen 

Bis 1971 galt der §129 I b des Strafgesetzbuches aus dem Jahr 1852: „Unzucht wider die Natur … mit Personen desselben Geschlechtes” war ein Verbrechen und wurde mit schwerem Kerker bis zu fünf Jahren bestraft. Obwohl es mehrere Anläufe gab, sollte es weit über 100 Jahre dauern, Homosexualität nicht mehr als Straftat zu verfolgen. Dabei war die Vorstellung, dass Homosexuelle sich auf Menschenrechte berufen könnten, bis in die 1980er Jahre ziemlich utopisch: Sie waren potentielle Sexualverbrecher*innen und galten bis 1992 international offiziell als Kranke. 

Konservative begründeten die Strafbarkeit mit Sittlichkeit und Volksempfinden, Fortschrittliche begründeten die Forderung der Straflosigkeit mit dem Argument, dass diese Menschen in ärztliche Behandlung und nicht vor ein Gericht gehörten und betrachteten sie als „Irrtum der Natur“. In der Wissenschaft war die sogenannte Prägungstheorie vorherrschend, nach der man durch schwulen Sex (mit Erwachsenen) homosexuell werden könne, woraus man einen besonderen Schutzbedarf für Jugendliche ableitete: Das Mindestalter wurde auf 21 Jahre gesetzt, später auf 18 Jahre herunter gesetzt – das galt für Männer. Zärtlichkeit unter Frauen sei dagegen nicht von „Berührungen im Zuge von Hilfeleistungen bei der Körperpflege“ zu unterscheiden. 

Ein enormer Rückschlag 

Bereits 1957 hatte eine Strafrechtsreformkomission einen Vorschlag gemacht: Nur mehr das Verführen junger Männer und die Prostitution sollten strafbar bleiben. Weiters sollte „Werbung für gleichgeschlechtliche Unzucht“ strafbar sein. Ab 1960 versuchte SPÖ-Justizminister Christian Broda diesen Kompromiss mit dem Koalitionspartner ÖVP umzusetzen. Doch diese Bemühungen wurden in den Jahren 1966 bis 1970 der ÖVP-Alleinregierung zerschlagen. 

„Das geltende Recht ist ein Bollwerk gegen das Heranwachsen sexuell Pervertierter… Fällt dieses Bollwerk, dann ist zu befürchten, daß die widernatürliche Unzucht zur Mode wird, daß in der Öffentlichkeit homosexuelle Verhaltensmuster auftauchen, daß versucht wird, den Unterschied zwischen normal und abnormal zu verwischen.“ So argumentierte eine katholische Juristenkommission der Bischofskonferenz, der die ÖVP brav folgte. 

Trotz prinzipieller Einigung verweigerten einige ÖVPler 1971 die Zustimmung zum Jahrhundertgesetz. © Kurier | Zentrum QWien, www.qwien.at

Aufbruch in den 1970er Jahren 

In dieser verstaubten Zeit führte die SPÖ höchst erfolgreich einen Wahlkampf für ein modernes Österreich und konnte im April 1970 eine Minderheitsregierung bilden. Bruno Kreisky versprach „Sofortmaßnahmen“, um „tausendfaches Leid auf Grund unhaltbar gewordener Vorschriften nicht täglich wiederkehren“ zu lassen. Denn wegen Homosexualität standen jährlich Hunderte vor Gericht! Bereits im April legte Broda ein „Strafrechtsänderungsgesetz“ vor. In einem eigenen Unterausschuss wurde von Juli 1970 bis Juni 1971 um eine mehrheitsfähige Position gerungen. Politischer Konsens wurde letztlich in jenen Punkten erzielt, die bereits 1957 die Strafrechtsreformkomission vorgeschlagen hatte. Neu war allerdings ein Verbindungsverbot von Menschen zur Gutheißung von Homosexualität. Hier konnte die SPÖ zumindest erreichen und klarstellen, dass dies nur Gruppen betreffen sollte, die geeignet waren, öffentliches Ärgernis zu erregen. So erklärte Broda 1979 im Zusammenhang mit der Gründung der HOSI Wien: „Wir werden die Gesetze anwenden, aber wir werden nicht unsere Hand leihen zu einer neuen Hexenjagd gegen eine gesellschaftliche Minderheit.“ 

Jahrhundertgesetz

Die SPÖ feierte den Beschluss im Sommer 1971 als „Jahrhundertgesetz“, war doch Österreich das letzte westlich orientierte Land Europas, in dem nun „persönliches Glück in vielen Fällen nicht mehr durch den ‚Richter als Sittenrichter‘“ gefährdet war. Im Herbst 1971 erhielt die SPÖ die absolute Mehrheit – auch dank schwuler Stimmen. Ab Ende der 1980er Jahre war das politische Bewusstsein dann reif, um die verbliebenen Strafrechtsbestimmungen zu hinterfragen. Es dauerte aber bis 2002, bis sie gänzlich aufgehoben werden konnten – stets gegen massiven Widerstand der ÖVP. Schließlich war es dann erst der Verfassungsgerichtshof, der das Mindestalter von 18 Jahren für schwulen Sex aufhob. 

Titelbild: Photo by Christian Buehner on Unsplash