Als Kleinkunstprinzessin steht Grazia Patricia auf der Bühne. Sie gibt Musikkabarett zum Besten, und wenn sie auf YouTube beim flotten Zweier in der Garderobe nicht gerade ihre Gäste interviewt, gewährt sie einen Einblick in ihre queere Lebenswelt. Hinter der Drag Queen steckt der steirische Schauspieler Patrick Weber.
Wien, Mariahilf – die Wahlheimat der selbst gekrönten Kleinkunstprinzessin. Sie beschreibt sich als bodenständig, Starallüren sind ihr fremd. Offenheit und Toleranz prägen ihr Dasein. Und Humor. Wir spazieren lachend den Wienfluss entlang.
Welche Schritte waren für dich in den letzten Jahren am prägendsten?
Grazia Patricia: Ich habe sehr viele kleine Schritte gemacht. Jeder einzelne, den ich gegangen bin, war mit sehr viel Mut verbunden. Der größte war jedoch, als ich erkannte, dass ich alle meine Talente verbinden kann. Und das mache ich jetzt auf der Bühne. Auf diesem Weg habe ich viele prägende Menschen wie Elfriede Ott, die mich in ihrer Schauspielschule sehr gefördert hat, kennengelernt.
Wie siehst du dich und wie möchtest du gesehen werden?
Ich sehe mich als Künstlerin, wenn ich als Drag Queen auf der Bühne stehe. Und ich möchte auch als vollwertige Künstlerin gesehen werden, denn ich habe die Ausbildung und hart dafür gearbeitet.
Wie bist du zur Drag Queen Kunst gekommen?
Es gibt viele Arten, wie man zur Drag Kunst kommt. Bei mir ist es über meinen Beruf, die Schauspielerei passiert. Natürlich habe ich mich auch davor schon in Drag ausprobiert. Ich finde, das sollte sowieso jeder einmal machen, egal welches Geschlecht. Sich einfach einen Charakter oder eine Verkleidung überlegen und einen Tag bzw. eine Nacht jemand anderes sein. Drag kann wirklich alles sein.
Und was ist Drag für dich?
Für mich ist Drag eine Verwandlung, eine zweite Haut. Es ist fast wie ein “Superman-Kittel”. Es macht mich selbstsicherer und selbstbewusster. Ganz ehrlich: Schminken, sich ein schönes Kleid anziehen, das kann jede*r. Das alleine ist für mich noch nicht Drag. Für mich ist Drag eine schöne Botschaft zu vermitteln.
In einem früheren Interview hast du erwähnt, dass starke Frauen deine Vorbilder sind. Welche Frauen haben dich inwiefern geprägt?
Ich habe in meiner Familie wahnsinnig tolle Frauen, meine Mama, meine Großmutter, meine Schwägerinnen. Ich bewundere Frauen sehr, vielleicht liegt es auch daran, dass ich so eine starke Bindung zu ihnen habe. Vielleicht auch weil meine Mutter eine Zeit lang alleinerziehend war und ich gesehen habe, wie viel sie geschafft hat. Dennoch werden Frauen oft nicht so respektiert, wie sie es sollten. Wir sind noch immer nicht so weit in Bezug auf die Gleichberechtigung. Ein Vorbild ist auch Barbara Schöneberger. Ich liebe sie, sie geht auf die Bühne und scheißt sich nichts. Sie ist immer sie selber, moderiert, singt, spielt, sie ist ihre eigene Marke. Und das versuche ich mit meiner Drag-Figur auch.
In unserem Vorgespräch hast du mir erzählt, dass du über das Thema Sexualität und Sex bis jetzt öffentlich keine Statements abgibst, weil du oft mit plakativen Fragen konfrontiert wirst. Im Rahmen dieses Interviews möchtest du jedoch gerne zum ersten Mal darüber sprechen. Mich interessiert nun: Welche Fragen zu diesen Themen würdest du dir selbst stellen und beantworten?
Das ist schwierig! (denkt laut nach) Wie hast du den Weg zu deiner Sexualität gefunden? Darauf würde ich ganz klar antworten: Man sollte sich mit diesem Thema überhaupt nicht stressen. Sich selbst Zeit geben, um nachzudenken. Ich habe auch selbst lange überlegt: Ich habe mich früher schon gerne verkleidet. Ich hörte dann: Das ist eine Schwuchtel, der will eigentlich ein Mädchen sein. Das hat mich geprägt. Und ich habe mir die Frage immer wieder gestellt: Will ich wirklich eine Frau sein? Vor 15 Jahren habe ich mich viel mit Transidentität beschäftigt und dann gewusst, dass ich keine Frau bin. Denn ich fühle mich wohl in dem Körper, in dem ich geboren bin.
Was wäre eine weitere Frage an dich selbst?
Und zwar eine zum Thema Fetisch. Fetische finde ich seit ein paar Jahren sehr spannend. Mein erstes Sexdate in Wien – das kannst du auch schreiben – hatte ich mit einem Mann, der seine Schuhe im Bett unbedingt anlassen wollte. Ich habe meinen Fetisch jedoch noch nicht wirklich gefunden, aber eine große Toleranz demgegenüber aufgebaut. Denn manche homosexuelle Menschen können teilweise sehr intolerant sein. Und ich habe mich selbst auch dabei ertappt, intolerant zu sein, indem ich mir die Frage gestellt habe, warum müssen manche Leder anziehen, das ist ja nicht normal. Und erst wenn man Menschen kennenlernt, die diesen Fetisch leben und davon erzählen, wie angenehm sie das Material empfinden, habe ich es verstanden.
Was bedeutet Intimität für dich?
Intimität verbinde ich immer mit einer zweiten Person und als Single bin ich total offen. Ich freue mich, wenn bei zum Beispiel einem One-Night-Stand etwas Lustiges passiert. Es ist nicht immer alles tippi toppi. Und das verarbeite ich dann auch.
Wo verarbeitest du es dann? Auf der Bühne oder in privaten Gesprächen?
Sexualität auf der Bühne thematisiere ich nicht. Vielleicht kommt es auch mal ins Programm. Die Kabarettszene in Österreich ist sehr heteronormativ geprägt. Wenn 90 % meines Publikums hetero ist, wird es nicht zwei Stunden über mein queeres Leben Bescheid wissen wollen. Daher muss ich schon allgemeiner bleiben und da ich auf der Bühne einen Dame bin, erzähle ich dann auch aus der Perspektive einer Dame. Da gehe ich nicht so ins Detail, sondern bleibe allgemeiner, damit sich eine Großzahl des Publikums damit identifizieren kann. Also privat gehe ich gerne ins Detail. Wir können auch ins Detail gehen, wenn das Mikrofon abgedreht ist. (lacht)
Welche deiner Erfahrungen in Bezug auf Sexualität und Sex möchtest du trotzdem hier teilen?
Für mich ist es wichtig, dass jede*r eine reife, vertraute und tolerante Person um sich hat, mit der er*sie reden kann. Egal wer das ist, ob Arbeitskolleg*in, die Tante oder die Großmutter. Oder in meinem Fall mit meiner Familie, mit der ich großes Glück habe.
Was ist dir diesbezüglich noch wichtig?
Man sollte vorsichtig sein in Bezug auf Geschlechtskrankheiten. Ich hatte zum Glück nie Probleme, aber nach wie vor wird es verharmlost, finde ich. Das gleiche bei Drogen, sie werden auch unterschätzt. Mittlerweile ist es schon fast normal, unter Drogeneinfluss Sex zu haben, man nennt es Chemsex. Hab ich noch nie probiert und will ich auch nicht, weil ich Angst habe meine Sinne, meine Wahrnehmung zu verlieren. Man muss keine Droge ausprobieren, um cool zu sein. Ich habe mein ganzes Leben keine einzige Droge ausprobiert.
Zu Beginn des Interviews hast du davon gesprochen, dass für dich die Drag Kunst auch eine Botschaft beinhaltet. Welche ist deine?
Ich sag immer, bleibt gespannt, bleibt tolerant und liebt eure Nächsten. Es ist nicht so schwer seinen Nachbarn anzulächeln, wenn man bei der Tür rausgeht. Einmal habe ich in der U-Bahn einer Frau ein Kompliment gemacht und zwar, dass sie eine gute Ausstrahlung habe. Und sie antwortete: Danke, das habe ich schon lange nicht mehr gehört. Man muss viel mehr Komplimente machen. Und dass man sich selbst nicht zu ernst nimmt, ist eine weitere wichtige Botschaft.
Vielen Dank für deine Zeit!
Zusatzinfo: Als nächstes sehen wir Grazia Patricia in ihrem Soloprogramm Teilzeitfrau und Patrick Weber als Mercedes in “Ein Käfig voller Narren” im Rahmen des Theaterfestivals Sommernachtskomödie Rosenburg in Niederösterreich.
Titelbild: Fotoshooting im Hotel Altstadt Vienna, Lena-Hoschek-Suite © Marisa Vranjes
als Grenzgängerin zwischen digital und analog, gilt ihre Leidenschaft seit vielen Jahren der Content Creation. Am liebsten kreiert Ruperta Text und Bild, die einen Mehrwert haben. Oder ästhetisch sind. Und bewegen. Auch strategisch mischt sie gerne auf, ob als Chefredakteurin oder als zukünftige Entrepreneurin. Als Kind der späten 80er ist sie jung auf den Geschmack des Reisens gekommen. Und liebt es noch immer. So sehr, dass ihr die Ortsunabhängigkeit besonders wichtig ist, hätte da nicht eine Liebe namens Wien dazwischen gefunkt. (Foto: privat)