Genitalien einer Statue

Vom Tabu zur Selbstbestimmtheit: schwul und gesund

Auf dem Weg zu sexueller Gesundheit gibt es für schwule Männer einige Herausforderungen. Das Leben in einer heteronormativen Gesellschaft bringt viele Vorurteile, Klischees und Ressentiments gegenüber homosexuellen Menschen und Beziehungen mit sich. 

Die WHO definiert sexuelle Gesundheit als einen „Zustand des körperlichen, emotionalen, mentalen und sozialen Wohlbefindens in Bezug auf Sexualität, und nicht nur das Fehlen von Krankheit, Dysfunktion oder Gebrechen.“ So weit, so schwierig. Der heteronormativen Gesellschaft liegt eine binäre Geschlechterordnung zugrunde, also die Annahme, dass man sich dem anatomischen bzw. biologischen Geschlecht und der entsprechenden Geschlechtsrolle zugeordnet fühlt und sich daraus folgend zu dem jeweils anderen Geschlecht sexuell hingezogen fühlt.  

Die Fessel der Heteronormativität

Die Psychologin und Sexualpädagogin Dr. Ulrike Paul spricht über die Schwierigkeiten, denen sich viele homosexuelle Klient*innen sehen, wenn sie dieser Heteronormativität nicht entsprechen. Sich zu outen ist immer noch mit der Angst vor Ablehnung, davor von Familie und Freund*innen nicht mehr geliebt zu werden, sowie Angst vor Diskriminierung am Arbeitsplatz und in der Öffentlichkeit verbunden. Andererseits ist aufgrund eines heteronormativen Aufwachsens das Selbstbild einiger schwuler Männer geprägt von einer verinnerlichten Homonegativität. Hier spricht die Therapeutin davon, dass im vorherrschenden binären Denken Schwule mit als weiblich geltenden Zuschreibungen bezeichnet werden. Der schwule Mann als „femininer oder weibischer Mann“. Diese, als negativ geltenden, Zuschreibungen führen dazu, dass sich viele die Frage danach stellen: „Bin ich ein Mann?“ und „Was ist ein Mann?“. Damit einher geht auch Gendermobbing, eine Erfahrung die viele bereits – und vor allem – im Kindesalter machen müssen. 

Die Akzeptanz der eigenen sexuellen Orientierung ist wichtig, um mit Selbstgewissheit und Selbstbewusstsein in sexuelle Begegnungen hineingehen zu können.

Dr. Ulrike Paul

Hetero-Verbündete 

Ein positives Selbstbild zu entwickeln, ist als schwuler Mann nach wie vor relativ schwierig, so Dr. Paul. Sie erklärt, dass wir heute einerseits in einer progressiveren Gesellschaft leben, und viele das Recht jedes Menschen auf die eigene sexuelle Orientierung befürworten, gleichzeitig, diese Personen in einem anderen sozialen Kontext die Homosexualität aber gegen einen verwenden. Damit ist gemeint, dass es beispielsweise für viele zwar cool ist mit schwulen Männern eine Party zu feiern, die gleichen Personen aber ablehnen, dass homosexuelle Pärchen beispielsweise heiraten dürfen.. Wichtig ist deshalb, sich als heterosexuelle Person Kenntnisse über homosexuelle Lebensstile anzueignen, denn hier gibt es eine Unzahl an Klischees und Stereotypen, klärt die Psychologin auf. Ebenso zentral wie Kenntnisse, ist das Bemühen um eine offene Haltung. Wenn Homosexualität als Selbstverständlichkeit betrachtet wird, und heterosexuelle Menschen unbefangen über homosexuelle Menschen im eigenen Freundeskreis und Familie sprechen, ermöglicht man es dem Gegenüber, sich zu öffnen. 

Von Zwang und Gewalt

Doch nicht nur das soziale Umfeld und man selbst sind wichtige Faktoren, auch der/die homosexuellen Partner*innen spielen eine zentrale Rolle. Die WHO führt aus: „Sie (Anm. sexuelle Gesundheit) erfordert einen positiven und respektvollen Zugang zu Sexualität und sexueller Beziehung, ebenso wie die Möglichkeit genussvolle und sichere sexuelle Erfahrungen zu erleben, frei von Zwängen, Diskriminierung und Gewalt.“ In diesem Zusammenhang erklärt die Sexualtherapeutin, dass vor allem Gewalt in gleichgeschlechtlichen Beziehungen noch oft ein Tabuthema ist, und es dementsprechend wenig Anlaufstellen für Betroffene gibt. Auch die wissenschaftliche Forschung und Publikationen dazu sind gering. Eine niederländische Studie aus dem Jahr 2004 belegt, dass 84% schwuler Männer in einer ihrer Beziehungen Gewalt erfahren haben. An der Studie nahmen 51 Personen teil. Die geringe Teilnehmer*innenzahl kann als ein weiterer Hinweis auf die Tabuisierung dieses Themas gesehen werden. 

Bedürfnisse und Macht

Auch wenn in einer Beziehung keine Gewalt angewendet wird, findet man trotzdem häufig ein Macht- und Bedürfnisgefälle. Dr. Paul erklärt, dass offene Beziehungen in Teilen der schwulen Community die Norm sind. Für Männer die ein monogames Beziehungsmodell bevorzugen, kann es daher schwierig sein, dies auch zu äußern oder durchzusetzen. Viele geben deshalb nach oder werden unterdrückt. Das hat mit seelischer, psychischer und mentaler Gesundheit zu tun, stellt die Sexualpädagogin klar. Sie schließt das Gespräch mit den Worten: „Ich kann Menschen nur dazu ermutigen, sich über die eigenen Bedürfnisse nicht hinwegzusetzen. Man muss zu dem eigenen Unbehagen, das man verspürt, stehen dürfen und dieses auch artikulieren können.“

Titelbild: unsplash.com, Denny Müller